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Die verborgene Seite des Mondes

Die verborgene Seite des Mondes

Titel: Die verborgene Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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immer unerträglicher. Julia war erschöpft, hungrig und von oben bis unten dreckver schmiert. Trotzdem fühlte es sich gut an, mit den anderen zu arbei ten. Teil dieser bunt zusammengewürfelten Gemeinschaft zu sein, war eine vollkommen neue Erfahrung für sie. Julia konnte sich nicht daran erinnern, wann sie sich das letzte Mal so lebendig und nütz lich gefühlt hatte.
    Die Sonne stand schon tief über dem Horizont, als Jason plötzlich auf dem Versammlungsplatz auftauchte. Er war mit seiner Mutter gekommen, einer mageren Frau mit dunklem, offenem Haar und eingefallenen Wangen. Ihre schwarzen Augen glühten wie im Fie ber, als sie mit Jason auf Julia zukam. Vielleicht war Veola Temoke früher mal schön gewesen, jetzt sah sie abgehärmt und verbittert aus.
    Julias Herz klopfte schneller. Bei ihrer letzten Begegnung war Ja-son freundlich gewesen, aber wie würde er sich im Beisein seiner Mutter ihr gegenüber verhalten? Sie hatte keine Ahnung, worauf sie sich gefasst machen musste.
    »Hi, Schwesterherz«, sagte Jason, ohne erkennbare Regung im Ge sicht. »Darf ich dir meine Mutter vorstellen? Mom, das ist Julia.«
    Julia erhob sich und musterte Veola abwartend.
    »Hallo«, sagte die Indianerin, reichte ihr die Hand und lächelte ver krampft. Es war, als würde Julia einen toten Fisch in der Hand hal ten.
    »Hallo«, sagte nun auch Julia, »freut mich, Sie kennenzulernen.« Es war keine Freude, höchstens Neugier, aber wenn man fremd war, hielt man sich besser an die Höflichkeitsregeln.
    Keine von beiden wusste, was sie sagen sollte. Veolas unsteter Blick irrte an Julia vorbei über den Platz. Schließlich entdeckte die Indianerin jemanden, den sie kannte, und verabschiedete sich von Julia mit einem Nicken.
    Jason, der diesmal ein blau-weißes Kopftuch trug, fragte: »Brauchst du Hilfe?«
    »Sehe ich vielleicht so aus?«
    »Ja.« Er lachte.
    Es war das Lachen ihres Vaters, es waren die Augen ihres Vaters. Julia musste schlucken.
    Ihre Granny hatte gesagt, dass Jason nicht gut auf sie zu sprechen war. Wenn das stimmte, dann gab er sich große Mühe, seine Abnei gung zu verbergen. Julia musste an seine abfälligen Bemerkungen Simon gegenüber denken. Irgendwie traute sie Jason nicht. Es war, als ob seine Freundlichkeit ihr gegenüber nur aufgesetzt, nur Fassa de war, unter der in Wahrheit etwas ganz anderes brodelte.
    Aber sie wollte das Angebot ihres Bruders nicht ausschlagen. Denn um die jeweils letzte Schlaufe über den dafür vorgesehenen Eisenhaken zu ziehen, brauchte man Kraft, und die hatte sie schon seit einigen Stunden nicht mehr.
    Jason kniete im Gras und erledigte die Aufgabe mit Leichtigkeit. Sie sah, wie seine Muskeln sich spannten. Er war stark wie ihr Vater. Wie sein Vater.
    Während Jason Julia half, begann er zu plaudern. Fragte, wie lange sie schon hier sei, auf dem Versammlungsplatz. Ob es ihr auf der Ranch gefallen würde und wie lange sie zu bleiben vorhätte.
    Julia spürte erleichtert, wie ihr Misstrauen ihm gegenüber nach ließ. Wenn er sie anlächelte oder ihr ein Kompliment machte, schien er es ernst zu meinen. Sie hatte den Eindruck, dass Jason sie wirklich kennenlernen wollte.
    Vorsichtig erzählte sie ihm, dass die Ranch anders war, als sie es sich vorgestellt hatte. »Ich weiß nicht mal, ob Granny mich mag.«
    »Das tut sie«, erwiderte Jason. »Sie kann es bloß nicht zeigen.«
    »Nächste Woche Mittwoch werden wir nach Kalifornien weiterfah ren. Ma hat eine Freundin in San Francisco.«
    »San Francisco ist cool.« Jasons Augen begannen zu leuchten. »Dad hat mich mal mit dorthin genommen.«
    Julia hoffte, dass Jason noch ein wenig mehr von ihrem Vater er zählen würde, aber er beschränkte sich auf die Robben vor der Küs te und die tollen Kneipen im Hafen von San Francisco. Kein Wort mehr über ihren gemeinsamen Vater. Als ob er das Thema absicht lich mied.
    Doch Julia drängte es, mehr über Jasons Gefühle zu erfahren, schließlich war er ihr Bruder. Sie fasste sich ein Herz.
    »Bestimmt hast du ihn sehr vermisst. Ich meine... unseren Va ter.«
    Für einen Moment wurde Jasons Blick hart, seine gute Laune schien verflogen und Julia bereute ihre Frage. Vielleicht war es dafür noch zu früh gewesen.
    Aber Jason holte tief Luft und sagte: »Ich habe einfach nicht ka piert, dass auf einmal ein ganzer Ozean zwischen mir und meinem Dad liegen sollte.« Seine Stimme hatte plötzlich den Klang eines traurigen Kindes.
    »Wann hast du denn erfahren, dass es mich gibt?«
    »Da war ich

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