Die verborgene Seite des Mondes
zwölf.« Jasons Pupillen waren schwarze Stecknadel köpfe.
»Hast du mich gehasst?«
»Und wie.«
»Tust du es noch?«
»Nur ein bisschen.«
Julia sah ihn bestürzt an, da lachte er und sagte: »Das war nur Spaß, Schwesterherz. Du kannst doch nichts für deine Mutter.«
»Meine Mutter?«
»Sie hat sich an Dad rangemacht, obwohl sie wusste, dass er ver heiratet war und Kinder hatte.«
Julia hielt in ihrer Arbeit inne. »Pa hat gesagt, er wäre damals schon nicht mehr mit deiner Mutter zusammen gewesen.«
Jason winkte ärgerlich ab. »Sie hatten so ihre Probleme, das stimmt. Aber die haben andere auch. Wäre deine Mutter nicht da zwischengeraten, wäre Dad zu uns zurückgekommen.«
Nach dem, was Julia inzwischen über ihren Vater erfahren hatte, war das durchaus möglich und sie widersprach Jason nicht. Sie hat te sechzehn Jahre mit einem wunderbaren Vater verbracht und Jason hatte sechzehn Jahre lang Sehnsucht nach einem wunderba ren Vater gehabt.
»Es tut mir leid«, sagte sie.
»Ach was, du kannst ja schließlich nichts dafür.« Jason hatte die letzte Schlaufe über den Haken gezogen und rieb seine Handflä chen aneinander. »Fertig.«
»Danke. Das war sehr nett von dir.«
Vielleicht mochte er es nicht, für nett befunden zu werden, denn Jason erhob sich und fragte: »Wo ist eigentlich der Stotterheini? Ist er gar nicht mitgekommen?«
»Nein. Zwei Bullen sind abgehauen und Simon musste Grandpa helfen, sie wieder einzufangen.« Julia sah ihrem Bruder in die dunk len Augen. »Sag mal, kann es sein, dass du Simon nicht sonderlich magst?«
Jason machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach was. Der Stotterheini ist doch nicht ganz richtig im Kopf. Ohne die Almosen von Granny und Grandpa wäre er längst verhungert.« Er tippte mit zwei Fingern an seine Stirn. »Man sieht sich, Schwesterherz.«
Julia blickte Jason nach, wie er davonging, mit dem typischen Gang ihres Vaters. Er schritt weit aus, auf die schnelle, lautlose Art, wie schon ihre Vorfahren vor Hunderten von Jahren diese Gegend durchstreift haben mussten.
»Na, hast du dir einen jungen Krieger angelacht?«
Julia wirbelte herum. Hinter ihr stand Ian. Schwarze Schmutzstrei fen zogen sich durch sein sonnenbraunes Gesicht, die aussahen wie
Kriegsbemalung.
»Jason ist mein Bruder«, sagte sie. »Mein Halbbruder.«
Ian nickte nachdenklich. »Jetzt, wo du es sagst, fällt mir die Ähn lichkeit auch auf.« Er streckte die Hand aus und fuhr mit den Fingern leicht über ihre Wange. »Du bist ganz schwarz im Gesicht.«
Julia lächelte. »Und du erst! Sieht so aus, als wärst du auf dem Kriegspfad.«
Ian zog ein rotes Halstuch aus der Hosentasche und wischte über sein Gesicht. »Weg?«
Sie deutete auf eine Stelle unter seinem Haaransatz. »Da ist noch was.«
Er gab Julia das Halstuch und streckte ihr sein Gesicht entgegen. »Mach du mal.«
Julia rubbelte den Dreck von seiner Stirn. »Eine warme Dusche wä re jetzt nicht schlecht«, sagte sie.
»Der Wasserbüffel ist noch nicht da.«
»Der was?«
Ian grinste. »Der Wassertank. Er müsste längst hier sein. Ich glau be, es gab Probleme mit einem platten Reifen.«
»Auf der Ranch gibt es leider auch kein warmes Wasser«, bemerkte Julia seufzend.
»Aber die heißeste Badewanne der Welt«, sagte Ian. »Frag mal dei ne Granny.«
Er blickte über Julias Schulter und knüllte das Tuch wieder in die Tasche. »Sag mal, kennst du den? Der guckt schon seit einer ganzen Weile zu uns rüber.« Er nickte in die Richtung, in der einige Fahr zeuge geparkt waren.
Julia entdeckte Simon, der gegen den braunen Pick-up lehnte, Pepper zu seinen Füßen.
»Das ist Simon. Er arbeitet auf der Ranch meiner Großeltern.«
»Sieht so aus, als ob er dir etwas zu sagen hätte«, bemerkte Ian.
»Vielleicht gehst du mal hin. Wir sehen uns dann morgen. Und ver
giss nicht, deine Granny nach der Badewanne zu fragen.«
»Bestimmt nicht.«
Ian umarmte sie kurz, was Julia überraschte, dann schob er die Hände in die Hosentaschen und lief zum Zelt seines Vaters.
Julia winkte Simon und ging auf ihn zu.
Schon eine ganze Weile hatte er zugesehen, wie Julia mit Jason am Küchenzelt gearbeitet hatte. Wider Erwarten verstanden sich die beiden gut. Und auch wenn Simon das Bauchschmerzen verursach te, war es in Ordnung so. Schließlich waren sie Bruder und Schwes ter. Familie . Etwas, das er nie gehabt hatte.
Dass Julia sich mit ihrem Bruder verstand, konnte er verschmer zen. Aber dann war dieser blonde Hippie aufgetaucht
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