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Die verborgene Seite des Mondes

Die verborgene Seite des Mondes

Titel: Die verborgene Seite des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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verzogen und ein pfirsichfarbener Streifen lag über dem westlichen Horizont. In der Dämmerung bereitete es Hanna Mühe, den Leihwagen wie der sicher zurück ins Tal zu bringen.
    Julia sah aus dem Fenster. Sie fühlte sich so sauber und frisch wie seit ihrer Ankunft auf der Ranch nicht mehr. Im Trailer bat sie Mut ter, ihr den Zopf zu flechten. Diesmal tat es Hanna einfach, ohne sich darüber zu mokieren, dass Julia zu alt dafür war. So nah waren sie sich schon eine ganze Weile nicht mehr gewesen.
    Sie aßen im Ranchhaus noch eine Kleinigkeit und zogen sich in den Trailer zurück. Am nächsten Morgen mussten sie vor fünf Uhr aufstehen, um rechtzeitig zur Sonnenaufgangszeremonie bei den anderen auf dem Versammlungsplatz zu sein. Denn gleich im An schluss würde die Abschiedszeremonie für John Temoke stattfin den.
    »Ich habe dich heute gesehen, wie du mit Jason gesprochen hast«, sagte Hanna, als sie ihre Schuhe abstreifte. »Es scheint so, als wären die Befürchtungen deines Pas unbegründet gewesen.«
    Julia ließ sich müde in den Sessel fallen. »Welche Befürchtungen?«
    »Er war fest davon überzeugt, Jason würde dich hassen. Das wollte er dir immer ersparen. Auch deswegen hat er dich nie mitgenom men.«
    »Jason hat nichts gegen mich«, erwiderte Julia. »Allerdings: Er hasst dich . Er glaubt, dass Pa wieder zu ihnen zurückgekommen wä re, wenn er dir nicht begegnet wäre.«
    Julias Eltern hatten sich in San Francisco auf einer Demonstration gegen Atomwaffentests kennengelernt. Beide hatten behauptet, es wäre Liebe auf den ersten Blick gewesen
    Hanna zog sich aus und streifte ihr Nachthemd über. »Natürlich. Alle hier wären besser dran ohne mich. Irgendjemandem muss man ja die Schuld geben an der Misere. Warum nicht einer Weißen, das passt perfekt.« Ihre Stimme schwankte gefährlich.
    »Nun dreh doch nicht gleich durch, Ma.«
    »Ich bin müde, Julia, und dein Vater fehlt mir. Da sind so viele Erin nerungen, die mich jetzt plötzlich einholen. Schöne Erlebnisse, die John und ich hatten. Aber auch Geschehnisse, die mir Angst einge jagt haben und die letztendlich Grund dafür waren, dass ich nach Deutschland zurückwollte, als ich merkte, dass ich schwanger war.«
    Julia horchte auf. »Angst? Was hat dir Angst gemacht?«
    »Vieles.« Hanna setzte sich im Nachthemd auf ihr Bett. »Aber den Ausschlag dafür, die Ranch zu verlassen, gab für mich ein Einsatz des BLM. Es passierte in jenem Sommer, als dein Vater und ich hier zusammenlebten. Die Leute vom BLM kamen unangekündigt mit Jeeps und Lastwagen, eskortiert vom Sheriff, um wieder einmal Rinder und Pferde zusammenzutreiben, die in den Bergen weideten und kein Brandzeichen der Temokes hatten. Round-up nannten sie es, als wäre es eine vollkommen harmlose Angelegenheit. Ich war dabei und habe alles gesehen.« Hanna strich sich das noch feuchte Haar aus der Stirn. »Dein Großvater stellte sich den Fahrzeugen mit seinem alten Pick-up in den Weg. Er sagte, an die Tiere kämen sie nur über seine Leiche. Er hat Benzin über seine Arme gegossen und gedroht, sich anzuzünden.«
    Julia holte tief Luft und Hanna schwieg einen Augenblick. »Es war furchtbar«, sagte sie schließlich. »Ich hatte schreckliche Angst um Boyd. Er war der Einzige, der immer freundlich zu mir war.« Sie seufzte. »Plötzlich stürzte sich einer der BLM-Typen auf ihn und warf ihn zu Boden. ›Brecht ihm den Arm, wenn es sein muss‹, hat der Sheriff gebrüllt. Und sie haben deinen Großvater und deine Groß mutter, die ihm zu Hilfe eilte, mit Gewehren am Boden gehalten, bis er in Handschellen abgeführt wurde. Boyds Brille war zerbrochen, sein Gesicht blutig von Glassplittern. Er war damals schon sechzig gewesen, ein alter Mann.«
    »Wo war Pa?«, fragte Julia mit einer Stimme, die ihr selbst fremd vorkam.
    »Er arbeitete hinter dem Haus und bekam erst mit, was los war, als sie seinen Vater bereits fortschafften. Die BLM-Leute trieben die Tiere mit Hubschraubern aus den Bergen. Viele Stuten hatten Foh len. Einige wurden von ihren Müttern getrennt, verfingen sich in Drahtzäunen und starben vor Panik und Angst. Es war die Hölle.«
    Hanna machte eine lange Pause und Julia sah Bilder vor sich. Bilder von sterbenden Fohlen, von ihren Großeltern auf staubigem Boden und Männern in Uniformen, die Gewehrläufe auf sie richteten.
    Jetzt wusste sie, was ihre Mutter meinte, als sie von Krieg gespro chen hatte.
    »Kurz darauf haben sie deinen Großvater wegen Widerstandes ge gen einen

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