Die verborgene Seite des Mondes
der Abstand zwischen ihnen vergrößerte sich immer mehr. Sein Gang war unsi cher, er lief nach vorn gebeugt, die Schultern eingezogen.
Endlich erreichten sie den Buchladen und Simon verschwand da rin wie in einer rettenden Höhle. Er schlich zwischen den Regalrei hen entlang, den Kopf schief gelegt, um die Namen der Schriftstel ler und die Buchtitel lesen zu können.
Es gab gebrauchte Bücher, die nur ein oder zwei Dollar kosteten, und wenn man genau hinsah, fand sich auch mal eine literarische Rarität in den Regalreihen. Julia amüsierte sich über die amerikani schen Cover, denn selbst angesehene Autoren kamen im Glitzerein band mit Prägeschrift daher.
Simon stöberte einen Gedichtband von Alice Walker auf und eine gut erhaltene Ausgabe von Pu der Bär .
Als er die beiden Bücher bezahlen wollte, fragte ihn die Verkäufe rin mit dem falschen blonden Haarnest auf dem Kopf: »Du hast wohl diesmal deine Schwester mitgebracht, junger Mann?«
»N-N-Nein . . .«, er stöhnte leise, weil sie ihn mit ihrer blöden Frage überrumpelt hatte und sich die Worte wieder mal in seiner Kehle querstellten.
»Wir sind verlobt«, sagte Julia und legte kichernd einen Arm um Si mons Hüfte. »Nicht wahr, Schatz?«
Er schluckte und brachte kein Wort heraus.
»Oh, wie schön«, meinte die Blonde entzückt.
Simon traten Schweißperlen auf die Stirn, während er einen Fünf-Dollar-Schein hervorkramte, um seine Bücher zu bezahlen.
»Was für ein hübsches Paar!«, hörte Julia die eine Verkäuferin zur anderen sagen, als sie den Buchladen verließen.
Draußen legte Julia den Kopf in den Nacken und schüttelte sich vor Lachen. Sie lachte mit dem ganzen Körper, bis sie keine Luft mehr be kam. Erst als sie merkte, dass Simon nicht lachte, hörte sie auf und sah ihn erschrocken an. »Verstehst du gar keinen Spaß, Simon?«
Er zuckte missmutig mit den Achseln. Dann wandte er sich um und lief über die Straße, wo der Pick-up geparkt war und der alte Mann bereits auf sie wartete.
Ihr Mittagessen kauften sie bei McDonald’s und aßen es auf einer Bank im Park, wo es im Schatten der Bäume angenehm kühl war. Anschließend fuhren sie zu einem riesigen Supermarkt am Stadt rand, um Adas Einkaufsliste abzuarbeiten.
Der alte Mann blieb beim Auto, um zu rauchen. Simon schob den großen Einkaufswagen zielsicher durch die Regalreihen des Super marktes. Er wusste genau, wo alles stand und was Ada wollte.
Simon war immer noch verstimmt wegen des Scherzes, den Julia im Buchladen gemacht hatte. Und noch mehr wurmte ihn ihre Fra ge, ob er keinen Spaß verstehen würde. Das Schlimme daran war, dass es eben nur Spaß war. Für sie war es Spaß. Für ihn nicht. Ihm war beinahe das Herz stehen geblieben, als sie ihren Arm um ihn ge legt hatte. Einfach so. Sie hatte das getan, wovon er seit Tagen träumte. Doch die Art, wie sie es getan hatte, hatte ihn verletzt und nicht glücklich gemacht.
Simon wusste, dass er sich lächerlich benahm, denn Julia konnte schließlich nicht ahnen, wie es um ihn stand. Aber er konnte auch nicht aus seiner Haut. Erst als er Julia mit ihren nackten Armen und Beinen vor dem riesigen Kühlregal stehen sah, zähneklappernd und am ganzen Körper schlotternd, da tat sie ihm auf einmal leid. Er zog sein kariertes Hemd aus und legte es um ihre Schultern.
»Hier, zieh das an.«
»Aber . . .«
»Nun m-ach schon.«
Sie kroch eilig in das Hemd und verschränkte die Arme vor der Brust. »Danke.«
»Schon gut.«
Für Tommy mussten sie Milch kaufen und zwei Kartons mit Baby nahrung. Simon stellte zusammen, was Tommy am liebsten moch te: Bananenbrei und Apfelmus. Kartoffeln mit Möhren oder Erbsen. Julia kniete neben ihm und verstaute die Gläschen in einer Pappkis te. Die Ärmel seines Hemdes waren zu lang für ihre Arme und ihre braunen Hände verschwanden immer wieder darin. Da musste er gegen seinen Willen schmunzeln.
»Du lächelst ja«, sagte sie. »Mach ich was falsch?«
Er hob eine volle Kiste in den Einkaufswagen und sah sie an.
»Immer noch böse?«, fragte sie.
Simon bückte sich nach der zweiten Kiste. Eine Antwort gab er ihr nicht. Sie brauchte schließlich nicht zu wissen, dass er ihr gar nicht richtig böse sein konnte.
An der Kasse packte eine junge Frau in Julias Alter alles in Plastiktü ten. Simon zahlte und brachte die Sachen zum Truck, wo er sie auf der Ladefläche verstaute.
Während der Fahrt auf dem Highway verschwand die Sonne und über den Bergen im Osten brauten sich finstere
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