Die verborgene Seite des Mondes
ein irres Lachen und ihm gefror das Blut in den Adern. Entweder hatte Jason getrunken, um sich die Lan geweile der Nacht zu vertreiben, oder er war so mit Drogen vollge dröhnt, dass er sich nicht mehr unter Kontrolle hatte. Simon hatte keine Ahnung, was in Jasons krankem Hirn vor sich ging. Er wusste nur eins: Julias Bruder war nicht nur ein Großmaul, er hatte auch ei ne Menge angestauter Wut in sich. Und in diesem Zustand war er unberechenbar.
Wieder krachte ein Stein und traf diesmal das Fenster. Die Schei be des Wohnwagenfensters war aus Plexiglas. Sie bekam Risse, splitterte jedoch nicht.
»Weißt du vielleicht, wo ich mein schönes Schwesterherz finden kann, Romeo? In ihrem Trailer ist sie nicht.«
»Versteck dich im Bad und rühr dich nicht von der Stelle«, raunte Si mon Julia zu. Er griff in sein Geheimfach unter der Spüle und holte ei ne in Lappen gewickelte Pistole hervor. Simon versuchte, sie vor Juli-as Blick zu verbergen, doch sie erkannte, was er in den Händen hielt.
»Willst du meinen Bruder erschießen?«, fragte sie voller Entset zen.
»Nicht, wenn es sich v-ermeiden lässt.« Schon war er draußen und schloss die Tür hinter sich.
»Was willst du, Jason?«
Julias Bruder stand vor seinem Zweisitzer, schlug mit der Hand ge gen das Wagenblech und lachte wie ein Geistesgestörter. »I-I-Ich will m-m-meine Schwester sprechen.«
Grelle Blitze zuckten am Himmel und gleich darauf krachte es ge waltig. Pepper umkreiste laut bellend den Wagen und erwischte Ja-son am Hosenbein. Fluchend trat er nach dem Hund.
»Halt endlich die Klappe, du blöder Köter.«
Simon hoffte, die alte Frau würde wach werden von diesem Krach und Boyd wecken, damit er seinen durchgeknallten Enkelsohn zur Vernunft bringen konnte. Doch niemand kam, um ihnen zu helfen. Das Ranchhaus lag zu weit entfernt.
Jetzt bloß nicht den Kopf verlieren , dachte er .
»Julia ist n-icht hier.«
»Verarsch mich nicht«, brüllte Jason.
»Hau ab!«, sagte Simon. »Du hast hier nichts zu suchen.«
»Ich will meine Schwester sprechen, das kannst du mir nicht ver bieten. Du tust ja gerade so, als würde die Ranch dir gehören, du Spast.« Jasons Lachen erinnerte Simon an einen Wutanfall.
Pepper bellte wie ein Besessener und umkreiste den Zweisitzer, als wäre das Auto samt Fahrer ein böses Ungeheuer. Immer wieder schnappte der kleine Hund nach Jasons Knöcheln.
»V-erschwinde«, sagte Simon. »Oder du holst dir einen p-p-platten Reifen und musst die zwanzig Kilometer nach Hause laufen.«
Julia drückte sich ans Fenster und konnte im Licht eines gewaltigen Blitzes Simon sehen, wie er den Revolver mit ausgestrecktem Arm auf einen Hinterreifen des Zweisitzers richtete. Daraufhin zeigte Ja-son ihm den Mittelfinger. Julia hatte Angst, ihr Bruder könnte völlig ausrasten, aber er stieg wild fluchend in seinen Wagen und schlug die Tür zu.
Gleich darauf donnerte es so heftig, dass Julia zusammenzuckte. Regentropfen schlugen gegen das Fenster und nahmen ihr die Sicht. Sie spürte, wie sie am ganzen Leib zu zittern begann. Simon hatte recht gehabt. Ihr Bruder Jason war nicht der freundliche junge Mann, für den sie ihn gehalten hatte. Er war wütend und unbere chenbar, diese Mischung machte ihn so gefährlich.
Aber er war auch ihr Bruder. Julia hatte keine Ahnung, ob Simon die Waffe nur benutzte, um Jason zu drohen, oder ob er wirklich ab drücken würde. Sie hatte ja nicht einmal gewusst, dass er eine Waffe besaß. Plötzlich machte Simon ihr Angst. Ihr kam in den Sinn, dass er vielleicht zu Dingen fähig war, die sie ihm nicht zugetraut hätte.
Sie stürzte zur Tür und riss sie auf. Erschrocken fuhr Simon zu ihr herum. »Julia, du solltest doch . . .«
Plötzlich ließ Jason den Motor aufheulen. Sein Wagen machte ei nen Satz nach vorn und es tat einen dumpfen Schlag. Julia hörte Pepper kläglich aufjaulen.
Dreck und Steine spritzten unter den Rädern hervor und der Zwei sitzer brauste davon. Simon zielte, mit wutverzerrtem Gesicht, und es waren nicht die Reifen, die er anvisierte. Die Hand, in der er die Waffe hielt, zitterte. Julia berührte ihn sacht am Arm. »Nicht, Si mon.«
Er ließ die Hand sinken, sicherte die Pistole und lief zu Pepper, der leise fiepend am Boden lag. Der Regen war heftiger geworden, aber das schien Simon gar nicht zu bemerken. Julia holte eine Taschen lampe aus dem Wohnwagen und leuchtete ihm, während er die Ver letzungen seines Hundes untersuchte. Blut floss aus Peppers Maul und seine feuchten Augen
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