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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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Menschen im Allgemeinen. Es war eine grausame Laune des Schicksals, mich mit einem Baby allein zu lassen und mir die Verantwortung für ein Menschenleben zu übertragen. Ich riss die Tür des blauen Zimmers auf. Doch noch ehe ich die Hand ausstrecken konnte, um dem Baby den Puls zu fühlen, begann es zu schreien.
    Mein Körper wurde von Gefühlen überschwemmt, Erleichterung, aber auch eindeutig Enttäuschung, sofort gefolgt von Scham. Ich drückte das Baby an mich und küsste es, um die Verzweiflung zu verbergen, die ich nicht länger leugnen konnte. Ich steckte ihr den Sauger in den Mund. Sie würde es lernen, Babynahrung zu trinken. Das Stillen war zu viel für mich. Ich würde es nicht durchhalten, und wenn ich das Baby behalten wollte, dann musste ich einen für mich machbaren Weg finden, Mutter zu sein. Dieses Mal versuchte das Baby zu saugen, doch seine Lippen waren geschwächt von Hunger, und das steife Plastik bewegte sich nicht.
    Offenbar war mit dem Sauger etwas nicht in Ordnung. Sicher war das die Erklärung für die starre Verweigerungshaltung meines Babys. Von den Hunderten von Fläschchen im Regal hatte ich das billigste gekauft. Ich schleuderte das Fläschchen in die Küche, wo es von der Wand abprallte und auf dem Boden liegen blieb. Das Baby fing an zu schreien.
    Ich legte das Baby in sein Körbchen und ging. Meine Brüste tropften zwar auf den fleckigen Büroteppich, aber ich würde meiner Tochter keine Milch aus meinem Körper mehr geben. Es war zu viel. Ich würde ihr ein neues Fläschchen besorgen, und sie würde daraus trinken. Dann würde meine Panik nachlassen.
    Ich setzte einen Fuß vor den anderen. Je größer der Abstand zwischen uns wurde, desto mehr steigerten sich ihre Schreie. Ich rannte auf den Gehweg hinaus und hastete so schnell wie nie zuvor den Häuserblock entlang. Waghalsig überquerte ich die Straße und lief in dieselbe Richtung, wie ich es am Vortag getan hatte, um die Babynahrung zu kaufen. Doch als ich die Vermont Street erreichte, bog ich nicht rechts ab, sondern links. Ziellos rannte ich weiter und blieb erst stehen, als ich die Stufen zum McKinley Square erreicht hatte. Mit schweren Schritten überquerte ich den gemähten Rasen und ließ mich ins weiße Eisenkraut fallen. Dann rollte ich mich in meiner Höhle unter dem Heidebusch zusammen. Ich schloss die Augen. Ich würde mir fünf Minuten gönnen. Nur fünf Minuten im Park. Wenn ich danach zu meinem Baby zurückkehrte, würde ich stark genug sein, um es zu schaffen. Ich legte mir den Arm über den Kopf und suchte in der Dunkelheit nach der braunen Decke, die nicht da war. Der Schlaf zog mich wieder an sich und beschützte, wiegte und tröstete mich. Es gab nichts mehr als die Dunkelheit, die Einsamkeit und die weißen Blütenblätter des Eisenkrauts, die für mich und das Kind, an das ich mich nicht mehr erinnern wollte, beteten.

12.
    I ch habe dich heute vermisst«, sagte Elizabeth, als ich hereinkam.
    Sie fragte nicht, wo ich gewesen sei, und ich sparte mir die Erklärung. Stattdessen kroch ich unter die Bettdecke und kehrte ihr den Rücken zu.
    Elizabeth legte mir die Hand auf die Schulter.
    »Ich liebe dich, Victoria«, meinte sie leise. »Hoffentlich ist dir das bewusst.« Als sie mir das erste Mal ihre Liebe gestanden hatte, hatte ich ihr geglaubt. Nun flossen ihre Worte über mein Herz wie Wasser über einen Stein. Der Schreibtischstuhl kratzte über den Holzfußboden, als sie sich erhob, und ich spürte, wie die Matratze nachgab, als sie sich auf den Rand des Bettes setzte. Sie legte eine Hand auf meine Schulter.
    »Was hat sie getan?«, fragte ich.
    Die Frage kam plötzlich und ohne Überlegung, und ich spürte, wie Elizabeth zusammenzuckte. Lange schwieg sie. Schließlich legte sie sich neben mich.
    »Ich liebte einen Mann. Damals«, sagte sie ruhig. »Das ist lange her. Er war Engländer und arbeitete als Praktikant auf einem der großen Weingüter, die einige Meilen entfernt hier an unserer Straße liegen. Ich war noch nie im Leben so glücklich gewesen. Und dann hat Catherine – meine Schwester, meine beste Freundin – ihn mir weggenommen.«
    Elizabeth drehte sich auf die Seite und legte ihren Arm um meinen Körper. Ich erstarrte, sagte aber kein Wort und wartete darauf, dass sie fortfuhr. »Ein Jahr später kam Grant zur Welt. Jahrelang konnte ich ihn nicht anschauen, ohne an seinen Vater zu denken, ohne daran zu denken, was ich alles verloren hatte. Aber sein Vater war fort. Ich weiß nicht, ob er

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