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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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seufzte. Ich wusste, was sie wollte und wie ich es ihr geben konnte. Eigentlich hätte es so einfach sein sollen. Vielleicht war es das ja auch für andere Mütter. Allerdings nicht für mich. Seit Stunden, Tagen und Wochen ertrug ich nun schon ihre Berührung und sehnte mich nach ein paar Minuten nur für mich. Als ich in Richtung Küche ging, schrie das Baby lauter. Das Geräusch holte mich zurück.
    Ich nahm Platz und hob sie hoch.
    »Fünf Minuten«, meinte ich. »Dann machen wir uns auf den Weg. Du hast keinen Hunger mehr.«
    Aber als ich das Baby fünf Minuten später in den Weidenkorb bettete, schrie es, als wollte ich es auf Nimmerwiedersehen auf dem Fluss aussetzen.
    »Was noch?«, fragte ich. Die Verzweiflung in meinem Tonfall grenzte an Wut. Ich versuchte, den Korb zu schaukeln, wie Marlena es getan hatte. Doch das Baby wurde dabei durchgerüttelt und weinte nur umso lauter.
    »Du kannst keinen Hunger mehr haben«, flehte ich und hielt die Lippen dicht an sein kleines Ohr, damit es mich trotz seines Gebrülls hörte. Sie drehte mir ihr Gesicht zu und versuchte an meiner Nase zu saugen. Ein hysterisches Geräusch stieg in mir auf, ein Schnauben, das ein Außenstehender, der nichts von meiner kurz bevorstehenden Implosion ahnte, als Auflachen hätte missdeuten können.
    »Also gut«, sagte ich. »Hier.« Ich schob mir das Hemd hoch und presste das Baby an meine Brust. Wegen des Drucks meiner Hand hatte es Mühe, den Mund zu öffnen. Als es ihm endlich gelang, hörte es auf zu schreien und fing an zu saugen.
    »Das war’s«, fuhr ich fort. »Koste es noch einmal so richtig aus.« Meine Worte klangen drohend und hörten sich an, als kämen sie von einer Fremden.
    Das Baby auf dem Arm, kroch ich ins blaue Zimmer, griff nach der Tüte mit der Babynahrung und kippte sie aus. Sechs Dosen fielen mir vor die Füße. Als ich mich vorbeugte, um eine davon aufzuheben, rutschte meine Brustwarze aus dem Mund des Babys. Sofort setzte das herzzerreißende Weinen wieder ein.
    »Ich bin doch da«, sagte ich und legte das Baby auf die Anrichte. Aber meine Worte konnten uns beide nicht trösten. Das Baby wand sich auf der kalten Arbeitsfläche, während ich den Inhalt der Dose in ein Fläschchen goss und es zuschraubte. Dann legte ich dem Baby den Plastiksauger an die Lippen und wartete darauf, dass es den Mund aufmachte. Als das nicht geschah, öffnete ich ihm den Mund mit dem Finger und zwang den Sauger hinein. Das Baby würgte.
    Ich holte Luft und versuchte, mich zu beruhigen. Ich setzte mich mit dem Fläschchen aufs Sofa und rückte das Baby zurecht, bis sein Kopf in meiner Armbeuge ruhte. Als ich es zwischen die Augenbrauen küsste, wollte es an meiner Nase saugen. Ich schob ihm das Fläschchen in den offenen Mund. Es trank einmal und drehte dann den Kopf weg. Die Babynahrung rann ihm aus den Mundwinkeln. Es fing an zu schreien.
    »Dann hast du keinen Hunger«, sagte ich und knallte die Flasche so heftig auf den Boden, dass ein dünner Strahl Flüssigkeit herausschoss. »Wenn du das nicht essen willst, kannst du keinen Hunger haben.«
    Ich legte meine Tochter zurück in ihr Körbchen. Ich würde sie noch zwei oder drei Minuten schreien lassen, nur damit sie auch merkte, dass ich es ernst meinte. Wenn ich sie dann wieder hochnahm, würde sie aus dem Fläschchen trinken. Sie musste einfach.
    Aber sie tat es nicht. Also ließ ich sie noch fünf Minuten schreien. Danach weitere zehn. Ich versuchte, sie im Arm zu halten, sie in ihrem Körbchen zu füttern, sie auf mein Federbett zu legen und ihr die Flasche hinzustrecken. Doch sie weigerte sich zu saugen. Schließlich gab ich mich geschlagen und schloss die Tür. Das Baby lag allein im blauen Zimmer und schrie.
    Als ich mich auf den Wohnzimmerboden legte, fielen mir unwillkürlich die Augen zu. Das Schreien war zwar noch immer ein gedämpftes und unangenehmes Geräusch, jedoch nicht mehr so überwältigend. Hin und wieder konnte ich die Geräuschquelle und den Grund, warum ich sie hatte zum Verstummen bringen wollen, sogar vergessen. Der Lärm brandete über meinen Körper hinweg, ohne mich zu berühren. Erschöpfung senkte sich auf mich herab wie ein undurchdringlicher Nebel.
    Erst als das Schreien aufhörte, fuhr ich ruckartig hoch. Ich wurde von Angst ergriffen, ich könnte das Baby umgebracht haben. Vielleicht genügten drei Stunden ohne Nahrung in einem unbeleuchteten Raum ja, um ein Neugeborenes zu töten. Ich wusste so wenig über Säuglinge, über Kinder und über

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