Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
Vom Netzwerk:
zu wohnen, so konnte ich mich zumindest für meine Tat entschuldigen.
    Als ich nicht sofort antwortete, blickte Marlena mich mit hoffnungsfroher Miene an.
    Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte sie gebeten, meine Tochter mit keinem Wort zu erwähnen, und bis zu diesem Moment hatte sie sich daran gehalten. »Bitte nicht«, sagte ich.
    Marlena sank das Kinn auf die Brust, so dass sie einen Moment lang so halslos aussah wie ein Neugeborenes.
    »Dann also bis Freitag«, fügte ich hinzu, drehte mich um und ging die Treppe hinauf.
     
    Die ganze Nacht malte ich mir aus, wie ich mich ins Auto setzte und zu Elizabeth fuhr. Ich stellte mir die lange staubige Auffahrt und die an den Reben knospenden Blätter vor. Die Nachmittagssonne warf den rechteckigen Schatten des abblätternden weißen Hauses auf den Boden. Mit vor der Brust verschränkten Armen saß Elizabeth am Küchentisch, den Blick auf die Tür gerichtet, als hätte sie auf mich gewartet.
    Der Gedanke, dass es das alles nicht mehr geben könnte, ließ das Bild auseinanderstieben. Vielleicht war nicht nur der viele Quadratkilometer große Weinberg abgebrannt, sondern auch der Küchentisch, die Fliegengittertür und das gesamte Haus. In all meiner Zeit mit Grant hatte ich ihn kein einziges Mal gefragt, wie viel Schaden das Feuer angerichtet hatte. Nie war ich auf der Straße, vorbei an der Gärtnerei, weitergefahren. Ich hatte es nicht wissen wollen.
    Ich konnte nicht hinfahren, denn ich hätte den Anblick nicht ertragen. Nicht einmal, um mich bei Elizabeth zu entschuldigen.
    Doch nachdem die Idee erst einmal entstanden war, konnte ich sie auch nicht mehr loslassen. Vielleicht würde ich es ja schaffen zu vergessen, wenn ich um Verzeihung bat. Möglicherweise würden die Träume dann aufhören, so dass ich, in dem Wissen, dass Elizabeth meine Reue verstand, ein ruhiges, wenn auch einsames Leben führen konnte. Und so verkroch ich mich in mein blaues Zimmer und überlegte, wie ich es am besten anstellen sollte. Es wäre ein Leichtes gewesen, ihr einen Brief zu schreiben. Nachdem ich ihre Adresse damals erfahren hatte, hatte ich sie nie mehr vergessen. Allerdings durfte ich auf dem Umschlag keinen Absender angeben, da ich sonst befürchten musste, dass Elizabeth eines Tages vor meiner Tür stehen würde. Und ohne Absender konnte Elizabeth mir nicht antworten. Obwohl ich nicht glaubte, dass ich es aushalten würde, ständig aus dem Fenster zu schauen, immer damit rechnend, dass ihr alter grauer Pick-up am Straßenrand hielt, sehnte ich mich verzweifelt nach ihrer Reaktion. Schriftlich würde ich mit ihrer Wut und Enttäuschung zurechtkommen. Vielleicht würden sie mir nach den jahrelangen Schuldgefühlen sogar ein wenig Erleichterung verschaffen.
    Als die Sonne aufging, wusste ich, was ich tun musste: Ich würde Elizabeth einen Brief schreiben und als Absenderadresse das Flora angeben. Renata würde mir einen Brief bringen, wenn einer für mich eintreffen würde. Ich öffnete die Tür des blauen Zimmers einen Spalt weit und lauschte, ob Marlena schon da war. Die Wohnung war still. Ich ging nach unten, setzte mich an den Tisch wie zu einer Blumenberatung und griff nach einem Blatt Reispapier und einem blauen Filzstift. Meine Hand zitterte, als der Stift über der Seite schwebte.
    Zuerst schrieb ich das Datum in die obere rechte Ecke, wie Elizabeth es mir beigebracht hatte. Immer noch zitternd, kritzelte ich dann ihren Namen. Da ich mich nicht erinnerte, ob darauf ein Doppelpunkt oder ein Komma folgte, schrieb ich nach kurzem Zögern beides hin. Vor Nervosität war meine Handschrift unsauber und kein Vergleich zu der Vollkommenheit, die Elizabeth stets eingefordert hatte. Ich knüllte das Papier zusammen, warf es auf den Boden und fing von vorne an.
    Eine Stunde später nahm ich das letzte Blatt Papier. Zusammengeballte Entwürfe waren rings um mich herum im Zimmer verstreut. Diesmal musste es klappen, egal wie. Der Druck, dass es sich um das letzte Blatt handelte, ließ meine Hand noch mehr zittern. Die Handschrift sah aus wie die eines kleinen Kindes, das sich der Form der einzelnen Buchstaben noch nicht sicher ist. Elizabeth würde enttäuscht sein. Dennoch machte ich langsam und zielstrebig weiter, und es gelang mir schließlich, eine einzige Zeile zu Papier zu bringen:
    Ich habe das Feuer gelegt. Entschuldige. Es tut mir bis heute leid.
    Danach unterschrieb ich. Der Brief war kurz, und ich befürchtete, dass Elizabeth ihn als unhöflich oder unehrlich empfinden würde.

Weitere Kostenlose Bücher