Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
Vom Netzwerk:
Lavendel auf ein Rekordtief sank, während Tulpen, Flieder und Passionsblumen weggingen wie die warmen Semmeln. Zum ersten Mal überhaupt konnte man Jonquille auch noch lange nach der natürlichen Blütezeit kaufen. Besonders kühne Bräute traten Ende Juli mit Tonschalen voller Erdbeeren oder duftenden Fenchelbüscheln vor den Altar. Niemand stellte ihren Geschmack in Frage, sondern man bewunderte sie für ihre Genügsamkeit.
    Wenn die Veränderung so weiterging, würden Wut, Trauer und Argwohn dank meiner Firma stark nachlassen. Gärtner würden Felder mit Fingerhut zugunsten von Schafgarbe, dessen rosafarbene, gelbe und cremfarbene Blütenbüschel ein gebrochenes Herz heilten, aufgeben. Die Preise für Salbei, Passionsblume und Levkojen würden ständig steigen. Pflaumenbäume würden allein um ihrer zarten Blüten gepflanzt werden, während Sonnenblumen vollkommen aus der Mode kämen und weder an Blumenständen noch in Handwerksläden oder Landküchen zu finden sein würden. Man würde die Distel voller Abscheu aus Brachflächen und überwucherten Gärten entfernen.
    Ich versuchte, Trost in diesem kleinen und flüchtigen gesellschaftlichen Beitrag zu finden. Wenn ich nachmittags in dem Gewächshaus arbeitete, das ich auf dem Dach gebaut hatte, und die Hunderte von kleinen Tontöpfen auf ihren Drahtgestellen versorgte, redete ich mir ein, dass wegen des märchenhaften Erfolgs von Botschaft vielleicht irgendwo ein Mensch weniger zornig, weniger traurig war. Freundschaften würden stärker sein, Ehen länger halten. Doch glaubte ich meinen eigenen Worten nicht. Ich durfte mir nicht wegen einer nicht greifbaren Leistung auf die Schulter klopfen, solange jeder meiner tatsächlichen Kontakte mit einem anderen Menschen nur Leid verursacht hatte: bei Elizabeth durch Brandstiftung und falsche Vorwürfe; bei Grant durch Verlassen und ein namenloses Kind, das ich nicht unterstützte.
    Und dann war da meine Tochter. Ständig, ja, in jedem wachen Moment musste ich daran denken, dass ich sie weggegeben hatte. Ich hätte in Natalyas ehemaliges Schlafzimmer ziehen können, aber ich schlief immer noch in dem blauen Zimmer, allein und zusammengerollt in dem Raum, den wir früher gemeinsam bewohnt hatten. Jeden Morgen, wenn ich aufwachte, rechnete ich bis auf den Monat und den Tag genau ihr Alter aus. Wenn ich redseligen Bräuten gegenübersaß, versuchte ich, mich an ihre fast kahlen, fragend nach oben gebogenen Augenbrauen und ihre sich rhythmisch öffnenden und schließenden Lippen zu erinnern. Mit der Zeit fühlte sich ihre Abwesenheit in der Wohnung an wie ein Lebewesen, das an der Plastikplane des Gewächshauses zerrte und in Form eines Lichtstrahls durch den Türspalt des blauen Zimmers hereinschien. Das Prasseln des Regens auf dem Flachdach klang wie ihr hungriges Saugen. Alle neunundzwanzig Tage wanderte das Mondlicht als langsames Quadrat über den Futon, wo wir in unserer letzten gemeinsamen Nacht gesessen hatten. Und jeden Monat erwartete ich beinahe, das Mondlicht würde sie zu mir zurückbringen. Stattdessen beleuchtete es nur meine Einsamkeit. Ich verharrte starr in seinem fahlen Schein und stellte mir vor, wie meine Tochter gewesen und was wohl aus ihr geworden war. Obwohl sie viele Kilometer entfernt war, spürte ich, wie sie sich mit jedem Tag veränderte, wuchs und sich entwickelte. Ohne mich. Ich sehnte mich danach, bei ihr und Zeugin ihrer Verwandlung zu sein.
     
    Doch sosehr ich mich auch nach einem Wiedersehen sehnte, ich fuhr nicht hin. Mein Bedürfnis nach meiner Tochter erschien mir egoistisch. Sie Grant zu überlassen war das Liebevollste, was ich je getan hatte, und ich bereute es nicht. Meiner Tochter konnte nichts zustoßen, solange ich nicht in ihrer Nähe war. Grant würde sie lieben, wie er mich geliebt hatte, mit bedingungsloser Treue, Fürsorglichkeit und Zärtlichkeit. Das war es, was ich mir für sie wünschte.
    Ich bedauerte lediglich eines, und das hatte nichts mit meiner Tochter zu tun. In einem Leben voller Fehltritte, viele davon gewaltsam und ohne Not begangen, bereute ich nur das Feuer. Eine Ansammlung von Marmeladengläsern, eine Faust voller Streichhölzer und ein Denken bar jeder Vernunft hatten ein Inferno ausgelöst, das weitergelodert hatte, nachdem die letzte Flamme längst gelöscht war. Ergebnis war die Lüge gewesen, über die ich Elizabeth verloren hatte. Außerdem hatte sie während meiner acht Jahre in verschiedenen Einrichtungen so manche Auseinandersetzung ausgelöst und

Weitere Kostenlose Bücher