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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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erfüllten Jahren. Insgesamt vier Babys, alles Jungen.
    »Als ich zur Welt kam, bat meine Mutter die Ärzte, mich wegzubringen. Ich erinnere mich nicht daran, aber mein Vater hat mir gesagt, meine Schwester, die damals erst sieben war, habe mich gefüttert, gebadet und gewickelt, bis ich alt genug gewesen sei, um mich selbst zu versorgen.« Elizabeth beschrieb die Depression ihrer Mutter und wie ihr Vater sie aufopferungsvoll gepflegt hatte. Sie schilderte mir, sie habe, noch ehe sie sprechen konnte, gelernt, wo genau sie hintreten musste, damit die alten Holzdielen nicht knarzten, wenn sie auf Zehenspitzen durch die Flure schlich. Ihre Mutter habe nämlich nicht das leiseste Geräusch ertragen.
    Ich hörte Elizabeth zu. Die Gefühle, die in ihrer Stimme mitschwangen, interessierten mich – bis jetzt hatte nur selten jemand so mit mir gesprochen, als sei ich in der Lage, die Erfahrungen eines anderen Menschen zu verstehen. Ich aß ein Stück Schinken. »Es war meine Schuld«, fuhr Elizabeth fort. »Die Krankheit meiner Mutter. Daraus machte niemand einen Hehl. Meine Eltern wollten keine zweite Tochter. Mädchen hätten angeblich nicht die Geschmacksknospen, die nötig seien, um eine reife Weintraube zu erkennen. Aber ich habe ihnen das Gegenteil bewiesen.«
    Elizabeth tätschelte mir den Rücken, und ich merkte ihr an, dass sie am Ende ihrer Geschichte angelangt war. Ich verspeiste den letzten Rest Schinken. »Wie war das als Gutenachtgeschichte?«, fragte sie. Ihre Stimme hallte zu laut durch das stille Haus und täuschte eine Zuversicht vor, die sie, wie ich wusste, nicht empfand.
    Ich steckte die Nase unter der Decke hervor und holte Luft. »Nicht so toll«, meinte ich.
    Elizabeth lachte scharf auf. »Ich glaube, du kannst den anderen auch das Gegenteil beweisen, Victoria. Dein Verhalten ist deine freie Entscheidung. Das hier bist nicht wirklich du.«
    Falls Elizabeth das wirklich glaubte, dachte ich, standen ihr in naher Zukunft noch einige Enttäuschungen bevor.

8.
    R enata und ich verbrachten den Großteil des Vormittags schweigend und an der Arbeit. Das Flora bestand aus einem kleinen Laden, an den sich eine größere Werkstatt mit einem langen Holztisch und eine begehbare Kühlkammer anschlossen. Um den Tisch standen sechs Stühle. Ich entschied mich für den, der der Tür am nächsten war.
    Renata legte ein Buch mit dem Titel
Sonnenblumenhochzeiten
vor mich hin.
Wie man eine Ehe unter die Vorzeichen Betrug und Materialismus stellt,
hätte in meinen Augen der passende Untertitel gelautet. Ohne auf das Buch zu achten, schuf ich sechzehn identische Tischdekorationen aus Sonnenblumen, Lilien und einigen hauchzarten Asparaguszweigen. Renata band die Sträuße für Braut und Brautjungfern. Nachdem sie fertig war, begann sie mit einer Blumenskulptur in einem Behälter aus Wellblech, der länger war als ihre Beine. Wenn sich die Ladentür öffnete, ging Renata nach vorne. Sie kannte ihre Kunden beim Namen und brauchte keine Anweisungen, um für jeden das Richtige auszuwählen.
    Als ich alles fertig hatte, stellte ich mich vor Renata hin und wartete darauf, dass sie aufblickte. Sie betrachtete den Tisch, wo die gefüllten Vasen in Reih und Glied standen.
    »Gut«, sagte sie mit einem beifälligen Nicken. »Sogar besser als gut. Erstaunlich. Kaum zu glauben, dass du keine Ausbildung hast.«
    »Habe ich nicht«, erwiderte ich.
    »Ich weiß.« Sie musterte mich von Kopf bis Fuß auf eine Art, die mir gar nicht gefiel. »Belade schon mal den Laster. Ich bin gleich so weit.«
    Ich schleppte jeweils zwei Vasen den Hügel hinauf. Nachdem Renata fertig war, trugen wir den großen Behälter gemeinsam und legten ihn vorsichtig auf die bereits volle Ladefläche. Dann kehrte Renata in den Laden zurück, nahm alles Geld aus der Kasse, schloss die Schublade und drehte den Schlüssel um. Eigentlich rechnete ich damit, dass sie mich nun bezahlen würde. Doch stattdessen reichte sie mir Papier und Bleistift.
    »Dein Geld bekommst du, wenn ich zurück bin«, meinte sie. »Die Hochzeit findet nicht weit von hier auf der anderen Seite des Hügels statt. Kümmere dich um den Laden und sag den Kunden, sie könnten beim nächsten Mal zahlen.« Renata wartete ab, bis ich nickte, und ging hinaus.
    Allein im Blumenladen, war ich nicht sicher, was ich tun sollte. Eine Weile stand ich vor der mechanischen Kasse und betrachtete den abblätternden grünen Lack. Draußen auf der Straße war es still. Eine Familie spazierte vorbei, ohne stehen

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