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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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teilen. »Keine Ahnung, wovon er redet«, erwiderte ich.
    Sie blickte von der Straße zu mir, dann wieder auf die Straße, wobei sie eine Augenbraue fragend hochzog. Nach einem ausgedehnten Schweigen sprach sie weiter: »Nun, Earl ist ein komischer alter Kauz. Meistens schlechter Laune und dann wieder auf eine Weise einfühlsam, wie man es nie vermuten würde. Gestern meinte er, er sei alt genug, um sich von Gott abgewandt zu haben und wieder zu ihm zurückzukehren.«
    »Was soll das heißen?«
    »Offenbar glaubt er, du hättest unseren Schöpfer zu Rate gezogen, bevor du letztes Wochenende die Blumen ausgesucht hast.«
    »Ha«, schnaubte ich.
    »Ja, ich weiß. Er sagte außerdem, er würde heute wiederkommen, damit du etwas für seine Frau zusammenstellst.«
    Der neue Auftrag erfüllte mich mit Aufregung.
    »Wie ist sie denn so?«, fragte ich.
    »Still«, antwortete Renata kopfschüttelnd. »Viel mehr weiß ich auch nicht. Earl hat mir einmal erzählt, sie sei Dichterin. Doch inzwischen spricht sie kaum noch und schreibt gar nicht mehr. Er schenkt ihr fast jede Woche Blumen. Wahrscheinlich vermisst er die Art, wie sie früher war.«
    Immergrün, dachte ich.
Zärtliche Erinnerung
. Die Entscheidung stand fest. Es würde schwierig, jedoch nicht unmöglich sein, es zu einem Strauß zu binden. Ich würde es mit etwas Langstieligem, Widerstandsfähigem umwickeln.
     
    Auf dem Blumenmarkt war es zwar nicht so voll wie vor einer Woche, doch Renata brauste trotzdem durch die Gänge, als würde gleich der letzte Rosenstrauß versteigert werden. Wir brauchten fünfzehn Dutzend orangefarbene Rosen und mehr Prachtlilien, als in meine Eimer passten. Deshalb musste ich die Blumen zum Wagen bringen und anschließend die zweite Ladung holen. Als alles ordentlich verstaut war, kehrte ich in das von Menschen wimmelnde Gebäude zurück, um Ausschau nach Renata zu halten.
    Ich fand sie ausgerechnet an der Bude, um die ich bis jetzt einen Bogen gemacht hatte. Sie verhandelte über den Preis eines Straußes rosafarbener Ranunkeln. Der Großhandelspreis, in fast unleserlicher Schrift mit Kreide auf einer kleinen schwarzen Tafel vermerkt, betrug vier Dollar. Renata schwenkte einen Dollarschein über den Blumen hin und her. Der Händler antwortete nicht und sah sie auch nicht an. Stattdessen beobachtete er, wie ich den Gang entlang näher kam, bis ich vor ihm stand.
    Unsere Begegnung vor einer Woche hatte mir keine Ruhe gelassen. Deshalb hatte ich den McKinley Square abgesucht, bis ich endlich die richtige Pflanze gefunden hatte, um seiner unerwünschten Aufmerksamkeit ein Ende zu machen. Also nahm ich den Rucksack ab und holte einen Stengel mit dicken Blättern heraus.
    »Rhododendron«, verkündete ich und legte den Schössling vor ihn auf die Theke aus Pressspan. Die violetten Blüten hatten sich noch nicht geöffnet, die Knospen – fest zusammengeballt und giftig – zeigten auf ihn.
Warnung
.
    Er betrachtete die Pflanze und bemerkte meinen drohenden Blick. Als er den Blick abwandte, wusste ich, er hatte verstanden, dass die Blume nicht als Geschenk gedacht war. Mit spitzen Fingern griff er danach und warf sie in den Müll.
    Renata feilschte immer noch, doch der Händler brachte sie mit einer raschen Handbewegung zum Schweigen. Sie könne die Blumen haben, ließ er sie mit dieser Geste der Ungeduld wissen und scheuchte sie weg.
    Renata wandte sich zum Gehen. Ich folgte.
    »Was war das gerade, Victoria?«, fragte sie verwundert, als wir außer Hörweite waren. Ich zuckte die Achseln und trottete weiter. Verdattert blickte Renata zurück zur Bude, dann auf mich und schließlich wieder zur Bude.
    »Ich brauche Immergrün«, sagte ich, um das Thema zu wechseln. »Aber es wird nicht geschnitten verkauft. Es ist ein Bodendecker.«
    »Ich weiß, was Immergrün ist«, erwiderte sie und wies mit dem Kopf auf eine Wand, wo die Pflanzen, die Wurzeln intakt, in Behältern ruhten. Dann reichte sie mir ein Bündel Geldscheine, ohne weitere Fragen zu stellen.
     
    Den ganzen Vormittag lang arbeiteten Renata und ich wie die Besessenen. Die Hochzeit fand in Palo Alto statt, einem teuren Vorort etwa fünfzig Kilometer südlich der Stadt. Renata musste zweimal fahren, um alle Blumen auszuliefern. Sie nahm die erste Hälfte der Arrangements mit, während ich mich an die zweite machte. Als sie fort war, schloss ich die Ladentür ab und löschte das Licht im Verkaufsraum. Die Kunden standen draußen an und warteten auf sie. Ich fühlte mich wohl in der

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