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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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zu bleiben oder ins Fenster zu schauen. Ich überlegte, ob ich die Tür öffnen und ein paar Eimer mit Orchideen hinausstellen sollte. Dann aber fiel mir ein, wie oft ich mich im Laufe der Jahre in Auslagen bedient hatte. Renata wäre sicher nicht einverstanden gewesen.
    Also ging ich in die Werkstatt, entfernte die übrig gebliebenen Stengel vom Tisch und warf sie in den Müll. Danach wischte ich den Tisch mit einem feuchten Lappen ab und fegte den Fußboden. Als mir nichts mehr einfiel, öffnete ich die schwere Eisentür der Kühlkammer und spähte hinein. Sie war dunkel und kühl, Blumen stapelten sich entlang der Wände. Der Raum zog mich an, und ich sehnte mich so sehr danach, mich aus meinem braunen Deckenunterrock zu wickeln und mich zwischen den Eimern schlafen zu legen. Ich war müde. Die ganze Woche hatte ich nur in halbstündigen Etappen geschlafen und war immer wieder von Stimmen, Alpträumen oder beidem geweckt worden. Der Himmel war stets weiß vom Dampf aus der Brauerei, der über mir waberte. Es dauerte jedes Mal mehrere Minuten, mich aus meinen panischen, von Qualm erfüllten Träumen zu lösen, die in den Nachthimmel entschwanden wie dieser Dampf. Dann lag ich reglos da und hielt mir vor Augen, dass ich achtzehn und allein war: Ich war nicht länger ein Kind und hatte nichts mehr zu verlieren.
    Nun, im sicheren Blumenladen, wollte ich nur noch schlafen. Die Tür fiel hinter mir zu. Ich ließ mich zu Boden sinken und lehnte die Schläfe an den Rand eines Eimers.
    Gerade hatte ich eine bequeme Körperhaltung gefunden, als eine gedämpfte Stimme in die Kühlkammer drang. »Renata?«
    Ich sprang auf, fuhr mir rasch mit den Fingern durchs kurze Haar und trat aus der Kühlkammer ins helle Licht.
    Ein weißhaariger Mann lehnte an der Theke und klopfte ungeduldig darauf.
    »Renata?«, wiederholte er bei meinem Anblick.
    Ich schüttelte den Kopf. »Sie liefert Blumen für eine Hochzeitsfeier aus. Kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich brauche Blumen. Warum wäre ich sonst hier?« Er beschrieb eine Geste in den Raum hinein, als wolle er mich an meine Pflichten erinnern. »Renata fragt mich nie, was ich möchte. Ich könnte eine Rose nicht von einem Rettich unterscheiden.«
    »Was ist denn der Anlass?«, erkundigte ich mich.
    »Der sechzehnte Geburtstag meiner Enkelin. Sie hat sicher keine Lust, ihn mit uns zu feiern, aber ihre Mutter will es so.« Er nahm eine weiße Rose aus einem blauen Eimer und schnupperte daran. »Ich freue mich ganz und gar nicht darauf. Das Mädchen ist in letzter Zeit ziemlich verstockt.«
    Ich ließ die Blumen in der Kühlkammer im Geiste Revue passieren und sah mich im Verkaufsraum um. Ein Geburtstagsgeschenk für einen verstockten Teenager. Die Worte des alten Mannes waren ein Rätsel, eine Herausforderung.
    »Weiße Rosen eignen sich gut für ein junges Mädchen«, sagte ich. »Vielleicht noch ein paar Maiglöckchen?« Ich zog einen langen Stengel mit hängenden elfenbeinfarbenen Blütenglocken heraus.
    »Was immer Sie für richtig halten«, erwiderte er.
    Während ich die Blumen arrangierte und sie in braunes Papier wickelte, wie ich es bei Renata beobachtet hatte, wurde ich von einem ähnlichen Hochgefühl ergriffen wie beim Durchschieben der Dahlien unter den Türen meiner Mitbewohnerinnen am Morgen meines achtzehnten Geburtstags. Es war eine eigenartige Mischung aus dem Wissen um ein Geheimnis und der Befriedigung, die es bereitet, sich nützlich gemacht zu haben. So neu und wundervoll angenehm war es, dass ich plötzlich das Bedürfnis hatte, dem Mann von den Blumen zu erzählen und ihm ihre verborgene Bedeutung zu erklären.
    »Wussten Sie«, begann ich, um einen beiläufigen und freundlichen Ton bemüht, obwohl mir die Worte vor Aufregung fast im Halse steckenblieben, »dass manche glauben, Maiglöckchen brächten das Glück zurück?«
    Ungeduldig und zweifelnd rümpfte der alte Mann die Nase. »Das wäre ein Wunder«, meinte er kopfschüttelnd. Ich reichte ihm die Blumen. »Ich denke, ich habe das Mädchen nicht mehr lachen gehört, seit es zwölf war, und eins verrate ich Ihnen, es fehlt mir.«
    Als er die Brieftasche herausholen wollte, hob ich die Hand. »Renata möchte, dass Sie später bezahlen.«
    »Einverstanden«, erwiderte er und wandte sich zum Gehen. »Richten Sie ihr aus, dass Earl hier war. Sie kennt meine Adresse.« Die Blumen erbebten in ihren Eimern, als er die Tür zuknallte.
     
    Bei Renatas Rückkehr eine Stunde später hatte ich schon sechs Kunden bedient. Auf

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