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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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Flur entlang und horchte nach Elizabeth. Obwohl es noch früh war, wunderte ich mich über die Stille im Haus und ihre geschlossene Schlafzimmertür. Ich hatte geglaubt, sie würde genauso an Schlaflosigkeit leiden wie ich. In der Nacht zuvor hatte ich in der Dunkelheit wach gelegen und war aufgeregter gewesen als an allen Weihnachtsabenden meines bisherigen Lebens zusammen. Vielleicht hatte sie ja auch kein Auge zugetan und nun verschlafen, weil sie die halbe Nacht wach gewesen war.
    Im Bad hing das Kleid, das wir zusammen gekauft hatten, in einer Plastikhülle am Haken hinter der Tür. Bevor ich es vom Bügel nahm, wusch ich mir das Gesicht und kämmte mir die Haare.
    Es war schwierig, das Kleid ohne Elizabeths Hilfe anzuziehen, aber ich war fest entschlossen, es zu schaffen. Ich wollte ihren Gesichtsausdruck sehen, wenn sie mich beim Aufwachen fertig und wartend am Küchentisch vorfand. Sie sollte verstehen, dass ich bereit war. Also setzte ich mich auf den Wannenrand, schlüpfte verkehrt herum in das Kleid, zog den Reißverschluss zu und drehte es dann so lange, bis er entlang meiner Wirbelsäule verlief. Die Schleifen waren dick und schwierig zu binden. Nach einigen gescheiterten Versuchen entschied ich mich für einen lockeren, quadratischen Knoten im Nacken. Mit der Schleife um die Taille verfuhr ich genauso.
    Als ich nach unten kam, zeigte die Uhr am Herd acht an. Ich öffnete den Kühlschrank, musterte die vollen Regale und wählte einen kleinen Becher Vanillejoghurt. Ich entfernte den Deckel und stocherte mit einem Löffel in der dicken Rahmschicht herum, hatte jedoch keinen Hunger. Ich war nervös. Elizabeth hatte noch nie verschlafen, kein einziges Mal in dem Jahr, das ich nun bei ihr wohnte. Eine ganze Stunde lang saß ich in der Küche und beobachtete die Uhr.
    Um Punkt neun stieg ich die Treppe hinauf und klopfte an Elizabeths Schlafzimmertür. Da sich der Knoten im Nacken gelöst hatte, hing die Vorderseite des Kleides zu tief herab und gab mein vorstehendes Brustbein frei. Ich wusste, dass ich nicht so hinreißend aussah wie im Laden. Als Elizabeth nicht antwortete oder
Herein
rief, drehte ich den Türknauf herum. Es war nicht abgeschlossen. Leise schob ich die Tür auf und trat ein.
    Elizabeths Augen waren geöffnet. Sie starrte an die Decke und blickte nicht in meine Richtung, als ich das Zimmer durchquerte und neben ihrem Bett stehen blieb.
    »Es ist neun«, sagte ich.
    Elizabeth reagierte nicht.
    »Wir müssen um elf bei Gericht sein. Sollten wir nicht losfahren, wegen der Kontrollen und so?«
    Noch immer nahm Elizabeth mich nicht zur Kenntnis. Also machte ich einen Schritt vorwärts und lehnte mich über sie. Obwohl ihre Augen weit geöffnet waren, dachte ich, dass sie vielleicht schlief. Ich hatte einmal eine Zimmergenossin gehabt, die so geschlafen hatte. Jede Nacht hatte ich abgewartet, bis sie schlief, damit ich ihr die Augenlider schließen konnte. Ich mochte es nicht, beobachtet zu werden.
    Ich fing an, Elizabeth sanft zu rütteln. Sie blinzelte nicht einmal. »Elizabeth?«, flüsterte ich. »Ich bin es, Victoria.« Ich presste ihr die Finger in die Lücke zwischen ihren Schlüsselbeinen. Ihr Puls pochte regelmäßig und schien die Sekunden bis zu meiner Adoption zu zählen.
Steh auf,
flehte ich lautlos. Die bloße Vorstellung, unseren Gerichtstermin zu verpassen, so dass er einen Monat, eine Woche oder auch nur einen Tag verschoben werden musste, erschien mir unerträglich.
    Ich begann, Elizabeth zu schütteln. Meine Hände umklammerten ihre Schultern. Ihr Kopf schwankte schlaff hin und her.
    »Hör auf damit«, sagte sie schließlich. Die Worte waren kaum wahrzunehmen.
    »Möchtest du nicht aufstehen?«, fragte ich mit zitternder Stimme. »Fahren wir nicht zum Gericht?«
    Tränen rannen Elizabeth aus den Augen, doch sie hob nicht die Hand, um sie wegzuwischen. Ich blickte ihnen nach und stellte fest, dass das Kissen dort, wo sie landeten, bereits nass war. »Ich kann nicht«, erwiderte sie.
    »Was soll das heißen? Ich helfe dir.«
    »Nein«, entgegnete sie. »Ich kann nicht.« Sie schwieg lange Zeit. Ich beugte mich so dicht vor, dass ihre Lippen mein Ohr streiften, als sie endlich das Wort ergriff. »Das hier ist keine Familie«, meinte sie leise. »Nur ich und du, allein in diesem Haus. Das ist keine Familie. Ich darf dir das nicht antun.«
    Ich setzte mich ans Fußende. Obwohl Elizabeth sich nicht rührte und auch nichts hinzufügte, blieb ich den ganzen restlichen Vormittag

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