Die verborgene Stadt - Die Prophezeiung
Autotür auf. »Wie hat es Ihnen im Grünen Hof gefallen?«
»Es gibt ein bisschen zu viele verschlossene Türen dort«, witzelte Jana und winkte den grimmigen Wachmännern, die ihre Abfahrt verfolgten. »Aber ich wurde immerhin anständig behandelt.«
»Die Luden haben eben ein weiches Gemüt«, konstatierte der Naw achselzuckend. »In der Zitadelle hätten Sie es weit weniger gemütlich gehabt.«
»Deshalb lege ich auch größten Wert auf ein freundschaftliches Verhältnis zu Ihnen, Kommissar«, bemerkte Jana pfiffig. »Was für ein edles Auto Sie fahren. Ein Jaguar, nicht wahr?«
»Ganz recht. Ein Jaguar XJ220.«
Der Sportwagen verkörperte dieselben Attribute wie sein Besitzer: Eleganz, Kraft und Ausstrahlung. Selbst reiche Schatyren, die sich ihre Schwäche für schnelle Autos etwas kosten ließen, erblassten vor Neid, wenn sie den superteuren Jaguar zu Gesicht bekamen. Jana fand, dass es nicht schaden könne, der Eitelkeit des Kommissars ein wenig zu schmeicheln.
»Ein XJ220. Davon wurden nur wenige Exemplare gebaut, nicht wahr?«, fachsimpelte sie.
»Der Absatzmarkt für solche Modelle ist naturgemäß begrenzt«, erläuterte Santiago. »Aber wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich nun gern zur Sache kommen.«
»Gewiss.« Die junge Frau öffnete ihre Handtasche, die man ihr zurückgegeben hatte, und holte ihre Schminkutensilien hervor. »Sie werden enttäuscht sein, Kommissar. Artjom ist nicht mehr dazugekommen, zu sagen, wo er das Amulett versteckt hat.«
»Wirklich sehr bedauerlich«, pflichtete der Naw bei. »Dann habe ich Sie ja ganz umsonst aus Ihrer misslichen Lage befreit.«
»Tut mir leid, dass Sie wegen mir Ihre Zeit verschwendet haben.«
»Ist nicht der Rede wert«, verkündete Santiago generös.
Mit sanft schnurrendem Motor entfernte sich der Jaguar immer weiter vom Grünen Hof.
»Wie ist Ihre Unterredung mit Königin Wseslawa verlaufen ?«, erkundigte sich Jana, während sie sich im Schminkspiegel betrachtete. »Haben Sie irgendetwas Interessantes erfahren?«
»Haben Sie schon mal vom Vivisektor gehört?«, fragte Santiago, anstatt zu antworten. »In den Zeitungen wurde angeblich über ihn geschrieben.«
»Natürlich.« Die junge Frau rümpfte die Nase und fügte ein wenig vorwurfsvoll hinzu: »Während der Überwachung der Burg war Zeitunglesen eine meiner Hauptbeschäftigungen. «
»Er tötet Frauen?«
»Junge Mädchen, und zwar ausschließlich auswärtige. Ich habe Fotos von Opfern gesehen. Da läuft es einem eiskalt den Rücken herunter. Er seziert sie bis zur Unkenntlichkeit. Deswegen haben die Journalisten den Täter auch Vivisektor getauft.«
»Hat die Polizei schon eine Spur?«
»Keine Ahnung. Es scheint aber schwierig zu sein, den Mörder zu finden. Wie kommen Sie darauf?«
»Lubomir war einst in die Königin verliebt«, erklärte
der Naw. »Damals war er noch sehr jung – es muss eine kindlich-naive Liebe gewesen sein. Man kann sich leicht ausmalen, was es für ihn bedeutete, als er erfuhr, dass seine große Liebe ihm nach dem Leben trachtete. Wseslawa hegt den Verdacht, dass der Bote und der Vivisektor ein und dieselbe Person sind.«
»Die erste Liebe endet meistens mit einer Enttäuschung«, warf Jana ein. »Wenn alle verschmähten Liebhaber zu Psychopathen würden, gäbe es kaum mehr normale Menschen.«
»Darüber werde ich nachdenken.« Santiago drosselte das Tempo, und der Jaguar schlich nun langsam über die verwaiste Straße. »In Bezug auf den Boten gibt es noch einen weiteren interessanten Randaspekt. Wie Sie wissen, üben einige Zauberer lebenslang sexuelle Enthaltsamkeit, um ihre magischen Kräfte zu stärken.«
»Und das hilft tatsächlich?«
»Nicht nennenswert. Aber Lubomir hat keine klassische Ausbildung genossen. Es könnte durchaus sein, dass er darauf bedacht ist, sein magisches Potenzial maximal auszuschöpfen.«
»Der Vivisektor vergewaltigt seine Opfer nicht. Das würde die Theorie der Königin indirekt bestätigen. Womöglich hat sich sein Hass auf Wseslawa gegen alle Frauen gerichtet und dann …« An dieser Stelle entfuhr Jana ein Schimpfwort, das sich für eine Lady nicht geziemte.
»Vielleicht irren wir uns auch«, sagte Santiago und zog die Stirn in Falten.
»Das lässt sich leicht nachprüfen.«
»Und wie?«
»Der Vivisektor, also Lubomir, sucht sich seine Opfer gewiss nicht selbst«, räsonierte Jana. »Er lässt nur seinen perversen Hass an ihnen aus. Mit Sicherheit bringt ihm jemand die Mädchen.«
»Die Rothauben«,
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