Die verborgene Stadt - Die Prophezeiung
seinem karierten Sakko. »Nicht genug damit, dass sie einem den Briefkasten damit vollstopfen, jetzt wird man auch noch in der Arbeit damit bombardiert.«
Doch es stellte sich heraus, dass der Umschlag keine Werbung enthielt, oder besser gesagt: nicht nur Werbung. Im Begleitschreiben, das Artjom – zurück in seinem Büro – als Erstes aus dem Umschlag zog, stand Folgendes:
Lieber Freund!
Sie sind heute an das Netz des Telekommunikations-Verbundes (TKV) der Gesellschaft T-Grad Communication (T-Grad-Com) angeschlossen worden. Dazu
möchten wir Ihnen von Herzen gratulieren. Wir freuen uns auf eine langfristige und fruchtbare Zusammenarbeit.
Mit freundlichen Grüßen
Jegor Bessjajew
Vizepräsident der T-Grad-Com
Auf einem separaten Blatt folgte die Auftragsbestätigung für den Anschluss an den TKV mit den Vertragsdaten, die eine geringfügige monatliche Gebühr vorsahen, Stempel und Unterschrift. Aus einem Abrechnungsvermerk ging zu Artjoms Überraschung hervor, dass er die erworbenen Dienstleistungen bereits für einen Monat im Voraus bezahlt hatte.
Als Nächstes entnahm Artjom dem Umschlag einen kleinen Stapel mit bunten Prospekten. Normalerweise warf er die unsäglichen Machwerke der Werbeindustrie unbesehen in den Papierkorb, doch in diesem besonderen Fall schien es ihm angebracht, wenigstens einen Blick darauf zu werfen.
Auf einem dunkelblauen Flyer stand zu lesen: »Besuchen Sie die öffentliche Gemeinschaftsbibliothek der Verborgenen Stadt! Es erwarten Sie bequeme Lesesäle und eine riesige Auswahl von Büchern, Zeitschriften und alten, zum Teil noch nicht digitalisierten Manuskripten. Wir garantieren Ihnen außerdem lokalen Zugriff auf die nichtöffentlichen Bibliotheken der Herrscherhäuser. «
Auf einem gelben Glanzprospekt hieß es: »Chronisches
Übergewicht? Damit ist jetzt Schluss. Mit der revolutionären Fettdiät von Bruder Immodestus! In einem zweiwöchigen Kuraufenthalt werden Sie Ihre überflüssigen Pfunde los und fühlen sich wie neugeboren – garantiert. Die Behandlungsmethode wirkt unabhängig von der genetischen Disposition und wurde vom Erli-Kloster lizenziert.«
Das genügte. Artjom legte die Werbeprospekte zur Seite und öffnete ein kleines Kuvert, aus dem ein schwarzes Plastikkärtchen mit der Goldprägung »T-Grad-Com« herausfiel. Auf der Rückseite erblickte er ein Foto von sich, einen Fingerabdruck und ein obskures schwarzweißes Muster.
Die der Plastikkarte beigelegte Bedienungsanleitung war kurz und bündig:
Lieber Freund!
Die Universalkarte von T-Grad-Com ist Ihre Eintrittskarte in die Welt des TKV und darüber hinaus das einzige Ausweisdokument in der Verborgenen Stadt. Sie können sie in beliebigen Kartenautomaten verwenden. Sollten Sie Ihre Karte verlieren oder irgendwelche Probleme damit haben, wenden Sie sich bitte vertrauensvoll an unseren Kundendienst unter der Adresse www.t-grad.com oder unter der Telefonnummer 777. Wir sind rund um die Uhr für Sie da.
»Hast du im Lotto gewonnen?«, fragte Kostik und reckte den Hals, um einen Blick auf das Plastikkärtchen zu erhaschen. »Von welcher Bank ist sie denn?«
»Von der Most-Bank«, log Artjom und steckte sie geschwind in die Tasche. »Ich fahre nach Frankreich in Urlaub und habe mir gedacht, dass es wohl besser wäre, kein Bargeld mitzunehmen.«
»Du lässt dir’s ja richtig gutgehen.«
»Man gönnt sich ja sonst nichts.«
»Eben«, bestätigte Kostik einsilbig und verzog sich wieder hinter seinen Bildschirm.
Geschäftlich war es in den letzten Wochen für Artjom wesentlich besser gelaufen als für Puschkin. Er hatte einige lukrative Vertragsabschlüsse zustande gebracht, weshalb ein Urlaub in Westeuropa durchaus realistisch erscheinen musste.
»Und mit wem fährst du nach Frankreich?«, erkundigte sich Schurotschka, die jüngste Mitarbeiterin in der Abteilung.
Das bildhübsche Mädchen hatte erst vor zwei Wochen bei ihnen angefangen, und Artjom war nicht entgangen, dass sie ein Auge auf ihn geworfen hatte.
»Ich würde ja wahnsinnig gern ans Meer fahren«, schwärmte sie, ohne Artjoms Antwort abzuwarten. »Was gäbe es Schöneres, als mit einem eisgekühlten Glas Orangensaft am Strand zu liegen und im Liegestuhl neben mir …« Sie sah Artjom vielsagend an.
»Schurotschka, Liebste«, flötete Kostik, »der Liegestuhl neben dir wäre genau der richtige Platz für mich.«
»Und für deine sechs Kinder«, versetzte das Mädchen.
»Ich habe nur zwei!«
Der lebensfrohe Puschkin ließ keine
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