Die verborgenen Bande des Herzens
noch etwas bedeuten und alles, aber ich wusste, dass ich vielleicht … anders für sie empfinden würde. Trotzdem machte ich weiter, weil es sich zu dem Zeitpunkt einfach gut und richtig anfühlte. Ich wollte nicht auf die Stimmen in meinem Kopf hören, die mich vor dem nächsten Morgen warnten. Und Patsy war der nächste Morgen schlicht egal. Ganz ehrlich, es war ihr wirklich egal.«
»Und haben Sie tatsächlich anders für sie empfunden?«
»Ich hatte erst einmal einen fürchterlichen Brummschädel.«
»Aber was Patsy betraf …«
»Caroline kam am nächsten Morgen zu mir. Und wir haben uns wieder versöhnt. So lief es immer zwischen uns beiden. Jede Menge Streit. Jede Menge Versöhnungen. Jede Menge …« Er bricht mitten im Satz ab.
Sex, beende ich im Geist. Die arme Patsy. Wie hätte sie da mithalten können?
»Caroline sagte, sie wolle so schnell wie möglich nach London zurück, also brachte ich sie zurück.«
»Du meine Güte, Harry! Und was wurde mit Patsy?«, frage ich gespannt, als ob das Ganze erst letzte Woche stattgefunden hätte. Als ob ich Patsy kennen würde.
»Ich weiß … ich weiß. Ich reiste noch am selben Tag ab, ohne überhaupt mit ihr geredet zu haben, und die ganze Zeit dachte ich bei mir, was bist du doch für ein Mistkerl. Wie kannst du nur so etwas tun? Aber ich habe es getan. Ich habe einfach versucht, das Ganze zu verdrängen. Sie zu verdrängen. Und als ich dann wieder in London war, ist ihr Bild immer mehr verblasst. Ich habe Patsy schon vermisst. Ich dachte hin und wieder an sie. Doch ich war wieder zusammen mit Caroline, und das Leben ist einfach … na ja, es ist eben einfach weitergegangen. Dann, zwei Monate später, bekam ich diesen schrecklichen Brief von Patsys Mutter. Patsy war schwanger.«
»Oh mein Gott. Wie haben Sie reagiert?«
»Ich hatte keine Wahl … meine Familie, Patsys Familie … damals waren die Zeiten noch anders. Und in Irland sowieso …« Er hebt den Kopf und schaut mich an. »Patsy hätte nie im Leben eine Abtreibung machen lassen«, sagt er und beantwortet damit eine Frage, die ich nicht einmal gestellt hatte.
»Also …«
»Also kehrte ich nach Hause zurück und heiratete sie. Ich arbeitete eine Zeit lang als Knecht auf einer Farm.« Er deutet mit dem Kopf hinunter auf sein Bein. »Landwirtschaftlicher Betriebsunfall.« Er rutscht nervös auf seinem Stuhl hin und her. »Caroline wollte ohnehin nichts mehr von mir wissen, nachdem sie herausgefunden hatte, dass Patsy schwanger war. Sie bekam einen regelrechten Tobsuchtsanfall. Sie hat von jedem Kleidungsstück in meinem Schrank die Ärmel abgeschnitten. Hat Farbdosen gegen meine Wohnungstür geworfen.«
Ohne es zu wollen, pruste ich los, und Harry wirft mir einen überraschten Blick zu, dann lächelt er schief.
»Sie war schon ein wildes Weib, meine Caroline. Aber auch witzig und sexy und gescheit …«
»Sie hat Ihnen gefehlt?«
»Ich hatte das Gefühl, mein Leben ist zu Ende. Und ich habe in den folgenden zwanzig Jahren auch keine Gelegenheit ausgelassen, meine Unzufriedenheit Patsy unter die Nase zu reiben. Ich habe sie nie vergessen lassen, dass ich sie nur geheiratet habe, weil sie schwanger war, mit unserem Patrick.«
»Hat das gestimmt?«
»Was?«
»Dass Sie sie nur geheiratet haben, weil sie schwanger war.«
Harry schaut mich verdutzt an.
»Gute Frage. Ich habe mir das zwar immer eingeredet, aber inzwischen glaube ich nicht mehr, dass es wirklich so war. Ich denke, irgendwie habe ich innerlich immer gespürt, dass Patsy … zu mir gehören würde. Aber ich habe das nicht richtig erkannt, bis es zu spät war. Ich war so wütend auf sie … auf mein Schicksal. Ich wollte mehr vom Leben haben, war nie zufrieden und gab Patsy die Schuld, wenn es nicht so war, wie ich es haben wollte. Ich … ich war nicht fair zu ihr.«
Seine Stimme hat bisher recht beherrscht geklungen, doch auf einmal wird sie unsicher, stockend. »In all den Jahren hat sie … hat sie … nie aufgehört …«
Ich strecke den Arm aus und lege beruhigend die Hand auf seinen Arm.
» Mich zu lieben «, sagt er mit kaum hörbarer Stimme.
Harry steht auf und humpelt hinüber zum Fenster, sein Körper ist steif vor Anspannung. Als er weiterspricht, wendet er mir den Rücken zu, damit er mich nicht ansehen muss. All diese Wochen hatte ich geglaubt, dass es der Kummer war, der ihn auffraß, doch jetzt weiß ich, dass er von Schuldgefühlen geplagt wurde.
»Und möchten Sie wissen, was das Schlimmste ist?«, fragt er.
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