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Die verborgenen Fruechte

Die verborgenen Fruechte

Titel: Die verborgenen Fruechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaïs Nin
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die Augen sehen sollte. Sie war zerrissen vor Eifersucht. Sie fürchtete, Robert werde versuchen, sie beide zu halten. Doch er hatte lediglich das Gefühl, wieder zum Kind zu werden, als er an Ednas Seite lag, den Kopf an ihre Brust bettete und ihr – in dem Bedürfnis nach einer Mutter – alles gestand, ohne einen Gedanken daran, wie weh er ihr damit tun mußte. Ihm war allerdings klar, daß er nicht länger bleiben konnte. Darum erfand er eine Reise. Er bat Dorothy, ihn zu begleiten. Dorothy antwortete, sie werde nachkommen. Er ging nach London.
    Edna folgte ihm. Dorothy ging nach Paris. Weil sie Edna liebte, versuchte sie von Robert loszukommen. Sie begann eine Affäre mit Donald, einem jungen Amerikaner, nur weil er Robert ähnlich sah.
    Robert schrieb, er könne nicht mehr mit Edna schlafen, er müsse sich jedesmal verstellen. Er hatte entdeckt, daß sie am gleichen Tag wie seine Mutter geboren war, und identifizierte sie immer mehr mit ihr. Das lähmte ihn. Er wollte ihr nicht die Wahrheit sagen.
    Kurz darauf ging er nach Paris. Dorothy traf sich auch weiterhin mit Donald. Dann verreiste sie mit Robert. In dieser gemeinsam verlebten Woche glaubten sie beide, wahnsinnig zu werden. Roberts Liebkosungen versetzten Dorothy in einen solchen Zustand, daß sie ihn anflehte: »Bitte, nimm mich!« Er tat, als weigere er sich, nur um zu sehen, wie sie sich in köstlicher Qual vor ihm wand, ständig so dicht vor dem Orgasmus, daß er sie nur noch mit seinem Penis zu berühren brauchte. Dann lernte sie, ihn ebenfalls zu reizen, ihn zu verlassen, wenn er kurz vor dem Höhepunkt war. Sie tat, als sei sie eingeschlafen. Und er lag da, gemartert von dem Wunsch, von ihr berührt zu werden, aber voll Furcht, sie zu wecken. Dann rückte er nahe an sie heran, drängte sein Glied an ihr Gesäß, versuchte es daran zu reiben, zu kommen, indem er sie nur leicht berührte, aber das ging nicht, und dann gab sie vor, aufzuwachen, begann wieder, ihn zu berühren und zu küssen. Das taten sie beide so oft, daß es zur Qual wurde. Ihr Gesicht war von seinen Küssen geschwollen, am Körper trug sie die Male seiner Zähne, und dennoch durften sie einander auf der Straße nicht berühren, nicht einmal beim Spazierengehen, ohne sofort wieder von Wollust erfüllt zu sein.
    Sie beschlossen zu heiraten. Robert schrieb Edna.
    Am Tag der Hochzeit kam Edna nach Paris. Warum? Es war, als wolle sie alles mit eigenen Augen sehen, den Kelch bis zum letzten Wermutstropfen leeren. In wenigen Tagen war sie zur alten Frau geworden. Einen Monat zuvor noch war sie blühend, bezaubernd, war ihre Stimme wie ein Lied, wie eine Aureole, ihr Gang leicht, ihr Lächeln überwältigend gewesen. Und jetzt trug sie eine starre Maske. Auf diese Maske hatte sie Puder gestäubt. Darunter glühte keinerlei Leben. Ihr Haar war tot. Ihre glasigen Augen glichen den Augen einer Sterbenden.
    Dorothy wurde ganz schwach, als sie sie sah. Sie rief ihr. Edna antwortete nicht. Sie starrte nur.
    Die Hochzeit war gespenstisch. Donald platzte mitten in die Feier herein wie ein Rasender, bedrohte Dorothy, weil sie ihn betrogen habe, drohte mit Selbstmord. Als alles vorbei war, wurde Dorothy ohnmächtig. Edna stand da, mit Blumen im Arm, eine Gestalt wie der Tod.
    Robert und Dorothy gingen auf Reisen. Sie wollten alle Plätze aufsuchen, an denen sie einige Wochen zuvor gewesen waren, die gleichen Wonnen noch einmal auskosten. Aber als Robert Dorothy nehmen wollte, konnte sie nicht reagieren. Ihr Körper hatte eine Wandlung erfahren. Das Leben war aus ihm gewichen. Es ist die Belastung, dachte er, die Belastung des Wiedersehens mit Edna, der Hochzeit, der Szene, die Donald gemacht hat. Deswegen war er sehr behutsam. Er wartete. In der Nacht weinte Dorothy. In der folgenden Nacht war es das gleiche. Und in der nächsten ebenfalls. Robert versuchte sie zu liebkosen, aber ihr Körper vibrierte nicht unter seinen Händen. Selbst ihr Mund antwortete dem seinen nicht. Es war, als wäre sie gestorben. Nach einer Weile verbarg sie es vor ihm, gab vor, Lust zu empfinden. Aber wenn Robert sie nicht anschaute, sah sie genauso aus wie Edna am Tag der Hochzeit.
    Sie behielt ihr Geheimnis für sich. Robert ließ sich täuschen, bis sie eines Tages ein Zimmer in einem ziemlich billigen Hotel nahmen, weil die guten alle besetzt waren. Die Wände waren dünn, die Türen schlossen nicht dicht. Sie gingen zu Bett. Sobald sie das Licht ausgemacht hatten, hörten sie das rhythmische Quietschen der

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