Die verborgenen Fruechte
verflog. Sie war ihrem Mann davongelaufen. Sie hatte ihn nur geheiratet, um gesichert zu sein. Sie hatte nie viel für Männer übrig gehabt, nur für Frauen. Zu Beginn ihrer Ehe hatte sie ihm alle möglichen Geschichten über sich selbst erzählt, die sie ihm nicht hätte erzählen sollen – daß sie Tänzerin am Broadway gewesen sei und mit Männern geschlafen habe, wenn sie kein Geld hatte; daß sie sogar in ein Freudenhaus gegangen sei und dort Geld verdient habe; daß sie einen Mann kennengelernt habe, der sich in sie verliebt und sie ein paar Jahre lang ausgehalten habe. Von diesen Erzählungen hatte sich ihr Mann nie richtig erholt. Sie weckten Eifersucht und Mißtrauen in ihm, so daß ihr Zusammenleben unerträglich wurde.
Am Tag, nachdem wir uns kennenlernten, verließ sie Saint-Tropez, und ich bedauerte es zutiefst, daß ich sie nicht geküßt hatte. Jetzt sollte ich sie wiedersehen.
In New York entfalte ich die Schwingen meiner Eitelkeit und Koketterie. Mary ist so bezaubernd wie immer und scheint stark berührt von mir zu sein. Sie besteht ganz aus Rundungen, Weichheit. Ihre Augen sind groß und feucht; ihre Wangen glühen. Ihr Mund ist üppig; ihre Haare sind blond, schwer. Sie selbst ist träge, passiv, lethargisch. Wir gehen miteinander ins Kino. Im Dunkeln ergreift sie meine Hand.
Sie läßt sich analysieren und hat gerade entdeckt, was ich schon lange geahnt habe: daß sie mit ihren vierunddreißig Jahren, nach einem Sexuelleben, für das man einen Buchhalter benötigen würde, noch niemals einen Orgasmus gehabt hat. Ich entdecke ihre Prätentionen. Immer lächelt sie, ist fröhlich, darunter jedoch fühlt sie sich irreal, fremd, losgelöst vom wirklichen Leben. Sie verhält sich, als liege sie in tiefem Schlaf. Sie versucht aufzuwachen, indem sie mit jedem, der Lust hat, ins Bett geht.
»Es ist sehr schwer, über den Sex zu sprechen«, sagt Mary. »Ich schäme mich so.« Sie schämt sich jedoch keineswegs, alles mögliche zu tun, nur sprechen will sie nicht darüber. Mit mir allein kann sie darüber sprechen. Stundenlang sitzen wir in parfümierten Lokalen, wo es Musik gibt. Sie mag die Lokale, in denen Schauspieler verkehren.
Zwischen uns besteht ein rein körperlicher Strom gegenseitiger Anziehungskraft. Wir sind stets dicht davor, miteinander ins Bett zu gehen.
Aber sie ist abends nie frei. Sie will nicht, daß ich ihren Mann kennenlerne. Ich könnte ihn verführen.
Sie fasziniert mich, weil sie Sinnlichkeit ausstrahlt. Mit acht Jahren hatte sie schon eine lesbische Liebesbeziehung zu einer älteren Cousine. Wir lieben beide Putzwerk, Parfüm und Luxus. Sie ist so träge, so schlaff – wirklich ganz und gar passiv. Nie habe ich eine nachgiebigere Frau gesehen. Wie sie sagt, wartet sie ständig auf den Mann, der sie weckt. Sie muß in einer sexuellen Atmosphäre leben, obwohl sie überhaupt nichts empfindet. Es ist ihr Klima. Ihr Lieblingssatz lautet: »Damals habe ich überall herumgeschlafen.«
Wenn wir von Paris und unseren Bekannten dort sprechen, sagt sie immer: »Den kenne ich nicht. Mit dem habe ich nicht geschlafen.« Oder: »O ja, der war wunderbar im Bett.«
Ich habe nie gehört, daß sie einmal nein gesagt hätte – und das bei dieser Frigidität! Sie täuscht jeden, sich selbst nicht minder. Sie wirkt so feucht und offen, daß die Männer glauben, sie sei ständig kurz vor dem Orgasmus. Aber dem ist nicht so. Die Schauspielerin in ihr wirkt fröhlich, gelassen, doch innerlich ist sie zerrissen. Sie trinkt und kann nur schlafen, wenn sie etwas einnimmt. Wenn sie zu mir kommt, ißt sie stets Süßigkeiten – wie ein Schulkind. Sie sieht aus wie zwanzig. Ihr Mantel steht offen, den Hut hat sie in der Hand. Ihr Haar hängt lose herab.
Eines Tages wirft sie sich auf mein Bett und streift die Schuhe ab. Sie betrachtet ihre Beine. »Sie sind zu dick«, stellt sie fest. »Sie sehen aus wie Renoir-Beine, hat mir einmal jemand in Paris gesagt.«
»Aber mir gefallen sie«, entgegne ich. »Mir gefallen sie sogar sehr.«
»Gefallen dir meine neuen Strümpfe?« Sie hebt den Rock und zeigt sie mir.
Sie bittet mich um einen Whisky. Dann will sie ein Bad nehmen. Sie leiht sich meinen Kimono. Ich weiß, daß sie mich verführen will. Als sie, noch naß, aus dem Badezimmer kommt, läßt sie den Kimono offenstehen. Die Beine hält sie immer ein wenig gespreizt. Sie sieht so unverkennbar aus, als bekäme sie gleich einen Orgasmus, daß man unwillkürlich meint, eine einzige kleine
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