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Die Verborgenen

Die Verborgenen

Titel: Die Verborgenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Sigler
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hingewor fen worden war. Allein das zu tun, tat weh. Sein ganzer Körper schmerzte. Er brauchte einen Schuss. Irgendetwas. Egal was. Der Entzug war totale Scheiße.
    Er öffnete die Box und roch daran. Sein zitternder Magen freute sich auf den braunen Eintopf aus Karotten, Tomaten und dicken Stücken festen Fleischs.
    Die alte Dame war wieder mit ihrem Einkaufswagen vorbeigekommen. Diesmal war Aggies Kette nicht bis ganz in die Wand zurückgezogen worden. Er konnte sich weit genug bewegen, um das Essen zu erreichen. Dadurch wurde er zu einer potenziellen Gefahr, vermutete er, doch die alte Dame schien sich seinetwegen keine Sorgen zu machen. Sie trat auf ihn zu, beugte sich vor und beschnüffelte ihn.
    Diesmal trug sie einen rosafarbenen Schal mit großen roten Punkten. Ihr Rock war heute braun statt grau, doch Pullover und Schuhe waren dieselben wie beim letzten Mal.
    »Der Eintopf sieht gut aus«, sagte Aggie. »Was ist da drin?«
    Sie hörte auf, ihn zu beschnüffeln, und sah ihm in die Augen. »Das ist gut für dich. Iss.«
    Sie hatte mit ihm gesprochen. Das waren die ersten englischen Worte, die er seit Tagen gehört hatte. »Lady, wie ist Ihr Name?«
    »Hillary.«
    Sie griff in ihren Einkaufswagen und warf dem Chinesen mit dem Super-Bowl-XXI-Shirt ein Sandwich zu. Der Mann fing es und riss das braune Papier auf. Er sagte etwas, das wie shay-shay klang. Dann nahm er einen großen Bissen und kroch auf seinen Knien so weit nach vorne, bis sich die Kette straffte.
    »Bitte«, sagte er kauend zu Hillary. »Ich nix sagen. Ich dürfen gehen. Bitte. Bitte. «
    Anscheinend hatte er ein Eiersalat-Sandwich bekommen. Der Mann wirkte verängstigt. Obwohl er Tränen in den Augen hatte, schob er sich das Essen energisch in den Mund und kaute und schluckte es so schnell wie möglich. Aggie kannte dieses Verhalten nur zu gut. Wenn man nicht wusste, wann oder woher die nächste Mahlzeit kommen oder ob jemand einen in den Hintern treten und einem das Essen wegnehmen würde, aß man so viel und so schnell man konnte.
    »Bitte«, sagte der Chinese.
    Hillary starrte ihn einfach nur an.
    Welch eine Truppe waren sie: Aggie der Penner, Hector der Mexikaner und der hungrige Chinamann. Vor Hector lagen zwei Sandwiches. Er hatte sie nicht angerührt. Hillary war inzwischen bereits zweimal wiedergekommen, seit die Maskierten seine Frau weggeführt hatten. Hector bewegte sich kaum noch. Meistens lag er nur zusammengekrümmt da. Aggie konnte ihm keinen Vorwurf machen – schließlich waren seine Frau und sein Kind verschwunden.
    Und du weißt genau, wie sich das anfühlt.
    »Bitte, bitte«, sagte der Chinese zu Hillary. Er schob sich das letzte Stück Sandwich in den Mund und legte dann Finger und Handflächen zusammen, als betete er. »Ich nix sagen. Bitte! «
    In scharfem, knappem Ton stieß Hillary einige Worte aus, die sich wie asiatischer Singsang anhörten, und der Chinese schrak zusammen. Er fiel auf seinen Hintern und kroch dann rückwärts zurück, bis er an die weiße Wand stieß.
    »Verdammt, Hillary«, meldete sich Aggie zu Wort. »Was haben Sie zu ihm gesagt?«
    »Ich habe ihm gesagt, dass ich ihm das nächste Mal Frühlingsrollen bringen werde«, antwortete Hillary, ohne den Blick von dem Chinesen abzuwenden.
    »Sie haben Frühlingsrollen?«
    Sie wandte sich zu Aggie um. »Du scheinst nicht so viel Angst zu haben wie er. Warum?«
    Aggie zuckte mit den Schultern. »Es sieht nicht so aus, als ob ich irgendwo hingehen würde, es sei denn, Sie lassen mich laufen. Abgesehen davon habe ich nichts, für das es sich zu leben lohnt. Natürlich habe ich Angst, schätze ich. Aber wenn ich sterbe, sterbe ich eben.«
    Und vielleicht hast du ja schon seit Jahren versucht, dich umzubringen und hattest nur nicht den Mumm, die Sache wirklich durchzuziehen.
    »Es gibt verschiedene Arten zu sterben«, sagte sie. »Einige sind schlimmer als andere. Du weißt nicht, was mit dir passieren wird.«
    Wieder zuckte Aggie mit den Schultern. »Was geschehen wird, wird geschehen. Vielleicht bin ich im Augenblick ein wenig« – er hielt inne, bis der Schauder vorüber war, der sich von seinen Zehen bis zu seiner Nase zog –, »ein wenig anderweitig beschäftigt.«
    »Es geht dir schon besser. Ich kann …«
    Sie beendete den Satz nicht, doch irgendwie wusste Aggie, was sie hatte sagen wollen: Es geht dir schon besser. Ich kann es riechen. Hatte die Mexikanerin ebenfalls besser gerochen?
    Aggie beschloss, nicht mehr darüber nachzudenken. Er wollte nicht

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