Die Verborgenen
hinaus sein Halbbruder war, bedeutete das, dass Bryans wahre Mutter fünfundsiebzig oder eher noch älter sein musste. Mike Clauser und Starla Hutchon waren zusammen auf dieselbe Highschool gegangen. Bryan hatte ihre Jahrbücher und ihre Klassenfotos sowie andere Aufnahmen von ihnen aus Kinder- und Grundschultagen gesehen. Sie waren im selben Jahr zur Welt gekommen. Mike war erst vor ein paar Monaten achtundfünfzig geworden.
Mike, der laut Gentest nicht Bryans Vater war.
Und Starla, die jünger war als Jebediah Erickson – was bedeutete, dass die Frau, die er immer für seine Mutter gehalten hatte, alles Mögliche sein mochte, nur nicht das, was Bryan bisher geglaubt hatte.
Sein ganzes Leben lang hatte man Bryan Lügen erzählt. Er spürte, wie Wut in ihm aufwallte, dieselbe Wut, die er empfunden hatte, als Zou ihm mit Gefängnis drohte.
Er stieg aus dem Buick. Mike stand auf und hob die Hand, als wollte er die Tür öffnen und Bryan einladen, ins Haus zu kommen.
»Spar dir die Mühe«, sagte Bryan.
Sein Vater hielt inne und drehte sich zu ihm um. »Pookie hat mir eine Nachricht geschickt. Er meinte, es gebe etwas Wichtiges, das du mit mir besprechen möchtest. Komm rein, dann reden wir.«
»Ich möchte nicht reinkommen«, sagte Bryan. »Ich möchte wissen, wer meine Eltern sind.«
Mike Clauser starrte einen Augenblick lang vor sich hin. Dann beugte er sich langsam zur Treppe hinab und setzte sich. Er sah zu Boden. »Du bist mein Sohn.«
»Bockmist.«
Mike sah auf. Seine Miene verriet zugleich jene Wut, mit der er die meisten seiner Probleme löste, und tiefen Schmerz darüber, dass er seinen Jungen verletzt hatte. »Ich gebe nichts auf Biologie. Ich habe dir deinen Hintern abgeputzt und deine Windeln gewechselt. Ich habe dein Erbrochenes aufgewischt. Wenn du Fieber hattest, habe ich mich gefühlt, als bearbeite jemand mein Herz mit einem Fleischklopfer. Du brauchtest nur zu husten , und ich hatte mehr Angst als in jedem Kampf, in den ich jemals in meinem Leben verwickelt wurde.«
Allein die Vorstellung, dass Bryan diesen Menschen geliebt hatte, diesen Lügner . »Bist du fertig?«
»Ich habe dich zur Schule gebracht«, sagte Mike. »Ich habe dich zum Fußballtraining gefahren. Ich war bei jedem deiner Ringkämpfe dabei, und jedes Mal, wenn einer deiner Gegner dich auf den Rücken geworfen hat, musste ich mich an meinem verdammten Tribünenplatz festklammern, denn nur so schaffte ich es, nicht aufzustehen, zur Matte zu stürmen und den anderen Jungen gegen den Kopf zu treten. Ich war es, der dir beigebracht hat, Recht von Unrecht zu unterscheiden.«
Welch beeindruckende Vorstellung zum Thema »Fürsorglichkeit«. Aber Mike hatte schließlich ein Leben lang Zeit gehabt, das alles einzuüben – Bryans Leben lang. »Und während all dieser Jahre ist es dir nie in den Sinn gekommen, mir die gott verdammte Wahrheit zu sagen?«
»Die Wahrheit ist, dass du mein Junge bist.« Einen kurzen Augenblick lang zitterte Mikes Unterlippe, doch dann schien er seine Gefühle wieder unter Kontrolle zu haben. »Du wirst immer mein Sohn sein.«
Bryan schüttelte langsam den Kopf. »Das bin ich nicht. Ich bin nur ein Kind, das du angelogen hast.«
Mike nahm eine ungeöffnete Flasche Bud Light aus dem Sixpack. Langsam rollte er sie zwischen seinen offenen Handflächen vor und zurück. »Ich weiß nicht, wie du es herausgefunden hast, aber das Thema »Schuldgefühle« kannst du dir sparen, denn ich würde alles wieder genauso machen.«
Was hatte sich Bryan erhofft? Vielleicht ein wenig Reue? Vielleicht ein Mein Gott, es tut mir so leid? Mike entschuldigte sich nicht. Wenigstens blieb er damit seinem Charakter treu.
»Wer sind meine Eltern? Das schuldest du mir, also fang an zu erzählen.«
Mike stellte die Flasche auf die Treppenstufe neben seine Füße. Er sah … schwach aus. Seine Miene, seine zusammengesunkene Haltung – Bryan hatte all das schon einmal gesehen, als seine Mutter gestorben war.
»Es gab einen Obdachlosen in unserem Viertel«, sagte Mike. »Eric. Seinen Nachnamen habe ich nie erfahren. Er war ein Kriegsveteran. Bei den Marines. Irgendwie hat das Viertel für ihn gesorgt. Wir haben ihm etwas zu essen und Kleider gegeben. Eines Tages war Eric plötzlich verschwunden. Als er eine Woche später wiederkam, hatte er ein Baby bei sich.«
Bryan ballte die Fäuste. Dann löste er die Hände, um sie wieder zu ballen. »Willst du mir damit sagen, dass Eric, der obdachlose Veteran, mein Vater ist?«
Mike
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