Die Verborgenen
hervor, dass er rechts und links nichts erkennen konnte, doch das spielte keine Rolle. Es war fast vorbei.
Eine Woge der Angst strömte über ihn hinweg. Das Monster war immer irgendwo da draußen. Bryan sah auf, fixierte die Dächer der umliegenden Gebäude, suchte nach einer Bewegung, einem Umriss.
Nichts.
Er musste das Symbol zeichnen, und zwar bald, sonst würde ihn das Monster holen.
»Mister«, hörte er den Jungen sagen, »ist alles okay mit Ihnen?«
Meinte der Junge es ernst? Wollte er dem Mann helfen? Oder suchte er nur ein bequemes Opfer?
Es spielte keine Rolle.
Bryan beugte sich weiter vor und sprang. Er schwebte über das Tor und landete lautlos auf der anderen Seite.
Ein Mutterleib. Eine Familie.
Der Mann in dem weißen Unterhemd lag noch immer auf dem Boden. Sein Bierbauch ragte unter dem Stoff hervor und hing ihm über die schmutzigen Jeans. Er trug eine grüne John-Deere-Baseballkappe. Er streckte seine pummelige Hand nach dem Jungen aus, der ein, zwei Meter entfernt vor ihm stand.
»Hilf … mir. Bitte. « Marco war ein guter Schauspieler. Ein wirklich guter Schauspieler.
Der Junge kam näher. »Hast du Geld, Arschloch?«
Die Hitze der Jagd tobte in Bryans Seele. Er machte einen Schritt auf die Beute zu. Als er das tat, schrammte unter seinem Fuß ein kleiner Stein über den Asphalt. Der Junge mit den schwarzen Locken hörte das Knirschen und drehte sich um.
Bryan roch seine Angst. Der Junge erkannte, dass er einen Fehler gemacht hatte und ihm der Weg zur Straße abgeschnitten war. Er stand zwischen zwei Pennern, die er nicht kannte. Er ballte die Fäuste, seine Augen wurden schmal, und sein Kopf senkte sich ein wenig, als könnte er jeden Augenblick zuschlagen. Wie die meisten in die Enge getriebenen Tiere stieß der Junge ein warnendes Knurren aus.
»Verpiss dich«, sagte der Junge zu Bryan. »Leg dich nicht mit mir an, du beschissener Penner.«
Hinter dem Jungen richtete sich Marco leise auf.
Bryan streckte sich und ließ die schmutzigen Decken zu Boden fallen.
Das Gesicht des Jungen veränderte sich. Langsam verschwand die herablassende Miene. Sein wütendes, eisiges Starren verwandelte sich in einen Ausdruck der Verwirrung.
Er machte einen Schritt nach hinten und stieß direkt gegen Marcos Bauch.
Der Junge drehte sich um und sah sich Auge in Auge mit Marco. Wegen des Barts konnte man kaum etwas erkennen, doch Bryan wusste, dass Marco lächelte.
Marco griff nach hinten. Als seine Hand wieder nach vorne kam, befand sich ein rostfleckiges Beil darin. Im schwachen Licht der Gasse schimmerte seine scharfe Schneide.
»Nicht«, sagte der Junge. Er wirkte längst nicht mehr selbstsicher.
Bryan hörte das Rascheln von Stoff und etwas, das aus großer Höhe herabschwebte. Die beiden anderen landeten zu beiden Seiten des Jungen. Der eine blieb unter seiner Decke verborgen. Bis auf das Funkeln eines gelben Auges war sein Gesicht nicht zu erkennen.
Der andere warf seine Decke ab.
Bryan sah einen Albtraum. Einen Mann mit purpurfarbener Haut und großen schwarzen Augen. Das Wesen fixierte den Jungen einen Moment lang und lächelte ihn dann mit einem Mund voller riesiger dreieckiger Zähne an.
Der von seiner Decke verborgene Mann sprach. »Pierre«, sagte er mit einer Stimme, die wie Sandpapier klang, das über grobes Holz streift. »Er gehört dir. Nimm ihn.«
Sly hatte sein Versprechen gehalten.
Heil dem König, Arschloch.
Bryan stürzte nach vorn. Er packte den jugendlichen Schläger von hinten und grub die Zähne in die Schulter seiner Beute. Die Vibrationen berstender Knochen, der Nylongeschmack der dunkelroten Jacke und die Süße spritzenden, heißen Bluts erfüllten seinen Mund.
Bryan riss die Augen auf. Sein Herz hämmerte wie ein um sich tretendes Maultier.
Adrenalin strömte so heftig durch seine Adern, seine Muskeln und seine Haut, dass er überall am Körper ein Prickeln wie von Kaktusnadeln fühlte. Sein Puls raste, und es war nicht zu ignorieren, dass es eine Stelle gab, an der das Pochen besonders heftig war. Er saß auf dem Rand des Betts und starrte in das dunkle Zimmer, während eine steinharte Erektion seine Unterhose zu einem Zelt aufrichtete.
Der Traum war viel weiter gegangen als der zuvor. Bryan hatte seiner Beute nicht nur aufgelauert, er hatte angegriffen. Er hatte den Geschmack von Blut im Mund gehabt. Er hatte ihn immer noch im Mund. Warum zitterte er dann vor Erregung, wenn er sich eigentlich vor Ekel hätte übergeben müssen? Warum hatte er einen
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