Die Verborgenen
man vielleicht nachdenken sollte«, sagte der Bürgermeister. »Obwohl wir, sobald sich das als erforderlich erweist, im ganzen Land nach einem neuen Leitenden Gerichtsmediziner suchen werden, tragen Sie im Augenblick die Verantwortung. Sollten Sie an dieser Position Interesse haben, verschafft Ihnen die Situation jetzt einen Riesenvorsprung.«
Man zog sie bereits für eine so hohe Position in Betracht? »Natürlich, Bürgermeister.«
»Da wäre noch eine Sache«, sagte er. »Der Paul-Maloney-Fall ist hochsensibel. Delikat. Ich weiß, dass Doktor Metz die Autopsie abgeschlossen hat, und deshalb habe ich Maloneys Leiche aus der Gerichtsmedizin abholen lassen.«
»Und Sie haben ihn … wohin gebracht?«
»An einen sicheren Ort«, sagte er. »Ich mache mir zu große Sorgen, dass es jemanden geben könnte, der sich angesichts der Geschichte Maloneys an der Leiche zu schaffen machen würde.«
Jemand könnte versuchen, in die Gerichtsmedizin von San Francisco einzubrechen?
»Bürgermeister Collins, ich glaube nicht, dass Sie sich deswegen Sorgen machen müssen.«
»Ich bin durchaus besorgt«, antwortete er. »Ich weiß, dass sich die Gerichtsmedizin in der Hall of Justice befindet, doch vergessen Sie nicht, dass auch Cops Eltern sind. Doktor Metz ist zum ersten Mal seit Ewigkeiten nicht auf dem Posten, und da könnte irgendjemand auf dumme Gedanken kommen. Ich möchte nur dafür sorgen, dass eine Versuchung aus dem Spiel genommen wird. Wenn Sie also morgen früh zur Arbeit kommen, wird Maloneys Leiche nicht mehr da sein. Haben Sie das verstanden?«
Sie verstand nichts. Überhaupt nichts. Für die Abläufe, wie mit einem Verstorbenen zu verfahren war, gab es genaue Regeln. Doch vielleicht funktionierte Politik genau so. Wie auch immer, Jason Collins war der Boss, und Robin hatte nicht vor, Unruhe in die Angelegenheit zu bringen. Nicht, wenn möglicherweise ihre zukünftige Karriere davon abhing.
»Ja, Bürgermeister Collins«, sagte sie. »Ich verstehe.«
»Großartig, Robin. Ich freue mich sehr, dass Sie mit an Bord sind. Wir geben Ihnen Nachricht, wenn Doktor Metz Besuch empfangen kann. Gute Nacht.«
»Gute Nacht«, sagte sie und beendete die Verbindung. Sie starrte ihr Handy an. Das tat sie so lange, bis Emma sich fragte, was hier vor sich ging, und schließlich auf den Gedanken zu kommen schien, dass das Handy eine besondere Belohnung wäre und es ebenfalls anstarrte.
Robin legte das Handy zurück und streichelte Emma über beide Ohren, bis die Augen der Hündin immer schläfriger wurden und Emma eine Mischung aus Knurren und Stöhnen von sich gab, die nichts als reine Liebe verriet.
»Hast du das gehört, mein kleines Mädchen?«, sagte Robin. »Es tut mir leid, aber es sieht so aus, als würdest du demnächst häufiger bei Onkel Max sein. Viel häufiger.«
Die Tarnung eines Jägers
B ryan wartete, wie jeder gute Jäger. Er wusste nicht, wie er hierhergekommen war, doch er kannte den Ort. Er war in der Post Street. Hinter ihm befand sich ein aufgegebener, mit Brettern vernagelter Waschsalon an der Ecke einer kleinen Gasse namens Meacham Place.
Ein Tor aus drei Meter hohen, rechteckigen schwarzen Stangen blockierte den Zugang zur Gasse. Hinter diesem Tor würde er seine Beute erlegen.
Er lag vollkommen regungslos unter mehreren Lagen stinkender Decken. Straßenlaternen erhellten den größten Teil des Betonbürgersteigs, ohne jedoch die Dunkelheit ganz vertreiben zu können. Tiefe Schatten erzitterten im Rhythmus vorbeifahrender Taxis und anderer Autos, die so spät noch unterwegs waren.
Bis auf einen kleinen Schlitz, durch den Bryan seine Umgebung beobachten konnte, verschwand jeder Zentimeter seines Körpers unter den Decken. Die Leute ignorierten seine Anwesenheit – und warum auch nicht? Er war nur ein weiterer abstoßender Penner, der auf der Straße schlief. Ein alltäglicher Anblick in San Francisco. In wenigen Metern Entfernung gingen Menschen an ihm vorüber, die sich nicht hätten vorstellen können, dass sich der Tod unter dem eingerissenen, schmutzigen Billigstoff verbarg. Schon oft hatte er in einer Nacht wie heute Menschen gepackt und in die Dunkelheit gezogen.
Er hielt Ausschau nach dem Jungen mit den schwarzen Locken.
Heil dem König.
Zuerst hatte er Visionen gehabt, Visionen von hasserfüllten Gesichtern; dann kamen der Geschmack von Angst und aufblitzende Bilder der Erniedrigung und Hilflosigkeit. Durch diese Wachträume hatte Bryan empfunden, wie es war, von einer Bande
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