Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Dutton
Vom Netzwerk:
von Beringsen gewesen – und hatte es nicht einmal gewusst! Oder, falls doch, hatte er dieses Wissen für sich behalten und keinen persönlichen Nutzen aus der adeligen Herkunft gezogen. Was für ein Narr sein Vater doch gewesen war! Lieber schlug er sich mit den einheimischen Affenmenschen herum und schrieb langweilige Bücher über ihr tierisches Verhalten, als Interesse für seine aristokratische Linie zu bezeugen. Was hätte er in Deutschland nicht alles tun und werden können, wenn er um seinen Titel gekämpft hätte! Aber nein, lieber kroch sein Vater durch den Urwald, um sich mit dem Häuptling eines zurückgebliebenen Stamms darüber zu unterhalten, was ein gutes Hausschwein auszeichnet, als Ansprüche auf ein Herrenhaus samt Ländereien in Schleswig zu erheben.
    Wie anders er selbst doch war! Heinrich schauderte, wenn er daran dachte, dass er beinahe ein unbedeutendes Leben auf dieser gottverlorenen Insel geführt hätte. Wäre sein Vater nicht tödlich verunglückt und hätte ihn Tante Emma nicht nach Europa gebracht – was wäre dann wohl aus ihm geworden?
    Ein Fischer, der seinen Tagesfang an die Konservenfabrik verscherbelte, um die zahlreichen hungrigen Mäuler zu stopfen, die er mit seinen Frauen gezeugt hatte? Ungebildet, dumm, ohne Ehrgeiz? Heinrich rümpfte die Nase, als trügen die Wellen den Geruch von verderbendem Thunfisch vom Land herüber.
    Oder wäre er zum Assistenten seines Vaters verkommen? Hätte, wie seine Mutter, all die Belanglosigkeiten, mit denen sich dieser beschäftigt hatte, für ihn aufgezeichnet? Die seltsam krächzenden Laute der Einheimischen immer wieder aufs Neue auf Papier gebannt, bis es dem Forscher endlich gefiel und er es in sein großes Werk aufnehmen wollte?
    Dreißig Jahre in der Südsee, so hieß das Opus magnum seines Vaters. Für Heinrich klang der Titel allerdings mehr nach einem gesellschaftlichen Todesurteil denn nach neuen Erkenntnissen, auf die die wissenschaftliche Welt Europas gewartet hätte. Wen außer ein paar verschrobenen Gelehrten in ihrem Elfenbeinturm würden der verrückte Mummenschanz oder die Tänze der Wilden ernsthaft interessieren? Wie sollten die Forschungen seines Vaters die Welt verändern? Welchen Einfluss hätten sie auf seine gesellschaftliche Reputation? Heinrich war versucht, erneut die Nase zu rümpfen.
    Erst in Hamburg erfuhr er vor vielen Jahren von seiner nicht eben unbedeutenden Herkunft.
    Tante Emma hatte in Deutschland Nachforschungen über seine Familie angestellt, und als sie herausfand, wonach sie suchte, schrieb sie den von Beringsens einen langen Brief. Emma war als Persönlichkeit viel zu bekannt und faszinierend, als dass man sich ihre Bekanntschaft hätte entgehen lassen, und so öffnete sich in Europa jede Tür, an die sie klopfte, und erst recht in Deutschland. Zunächst zeigten sich die von Beringsens über den unverhofften Familienzuwachs einigermaßen überrascht und hoben nur die Brauen, als sie hörten, was Emma von ihnen erwartete. Sie sollten diesen merkwürdigen kleinen Kerl bei sich aufnehmen? Man war pikiert, doch Emma war nicht umsonst zur reichsten Frau der Südsee geworden. Sie wusste, wie sie ihre Wünsche verwirklichte, und ging entsprechend zielstrebig vor.
    Erst viele Jahre später zählte Heinrich eins und eins zusammen: Emma musste so lange in der Familiengeschichte Richard Parkinsons gewühlt haben, bis sie fündig geworden war. Jede Familie mit großem Namen hat irgendwo einen verarmten Verwandten, und in diesem Fall lebte der in Hamburg. Nach einem intensiven Gespräch mit dem Patriarchen, das einen ganzen Nachmittag beanspruchte, fand Heinrich eine neue Heimat. Die Anwälte beider Seiten setzten einen Vertrag auf, der genau regelte, welcher Anteil der stattlichen Summe, die Emma den von Beringsens als eine Art Aufwandsentschädigung für die Erziehung des Jungen entrichtete, Heinrich zustand. Ein Paragraph schrieb fest, welche Summe auf seine Ausbildung zu verwenden und was ihm auszuzahlen sei, sobald er das Hamburger Haus als Volljähriger verließ. Der Vertrag enthielt außerdem eine Liste von Ärzten, die Heinrich regelmäßig zu konsultieren habe. Dank Emma besuchte Heinrich die besten Schulen, wurde von den modernsten Ärzten Europas behandelt, trug maßgeschneiderte Anzüge aus Italien und Hemden aus England. Geld war nie ein Problem. Was ihm fehlte, war Anerkennung.
    Deshalb war er jetzt hier, zurück am Ort seiner Kindheit. Er brauchte ein Dokument, das Richard Parkinson als seinen

Weitere Kostenlose Bücher