Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
zu beichten? War es wirklich Feigheit? Sie glaubte das nicht länger. Michael war kein feiger Mensch.
Wie von selbst griff ihre Hand nach der Halskette, ihre Finger wollten den Ring fühlen, der nicht mehr da war. Für eine Sekunde bereute sie, ihn ins Meer geworfen zu haben, doch dann wusste sie, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Nicht weil sie Michael für den Rest ihrer Tage grollen wollte, sondern weil sie tatsächlich zu einem Abschluss gelangt war. Sie wusste plötzlich, dass er nicht aus Feigheit geschwiegen hatte, sondern um ihretwillen. Der einzige Mensch, der wusste, wie verletzlich sie unter der rauhen Oberfläche war, jenseits des nach außen gezeigten Selbstbewusstseins, war Michael gewesen. War es da ein Wunder, dass ausgerechnet er sie so tief verletzt hatte?
Doch Katja dachte nicht nur über ihre Familie, über Michael oder über ihren Schmerz nach. Je länger sie in Kokopo blieb und im St. Mary’s arbeitete, desto mehr grübelte sie über Christoph Lambert nach. Nicht bewusst, es passierte einfach, wenn sie ihm im Flur oder auf der Station begegnete. Sie wusste selbst nicht, was sie davon zu halten hatte, und auch nicht, weshalb ihr Zusammentreffen jedes Mal ein Ziehen in ihrer Magengrube auslöste. Sie wusste nur, dass es sie verstörte. War sie etwa im Begriff, sich zu verlieben?
Hin und wieder las sie in den alten Briefen, die die Freundinnen einander geschrieben hatten. Johannas Schicksal berührte sie, nicht zuletzt wegen der offensichtlichen Parallelen zu ihrem eigenen Leben. Wie sie war Johanna eine betrogene Frau – und hatte trotzdem den Mut gehabt, noch einmal einem Mann zu vertrauen. Bill hatte seine deutsche Frau offensichtlich nie enttäuscht, die beiden schienen eine innige Ehe geführt zu haben.
Katja fragte sich, ob wahre Liebe erst dann gefunden werden kann, wenn man vergangenes Leid überwunden hat, oder ob umgekehrt erst das Finden wahrer Liebe dabei hilft, Geschehenes hinter sich zu lassen. Hatte sie es Christoph zu verdanken, dass sie bereit war zu vergessen, was Michael ihr angetan hatte?
Rabaul, 1928
H einrich von Beringsen beugte sich über die Reling, als das Passagierschiff zwischen den Vulkanen hindurchglitt, um in Rabaul anzulegen. Er war 27 Jahre alt, seine Haltung ließ kaum einen Zweifel an seiner privilegierten Stellung in der Gesellschaft. Für die Ankunft in der Provinzhauptstadt hatte er sich wie alle Passagiere an Bord eigens herausgeputzt, er trug ein faltenfreies weißes Hemd, helle Hosen und einen Tropenhelm. Allein das Paar Reitstiefel, in dem seine schlanken Beine steckten, unterschied seine Aufmachung von der der Mitreisenden. Die anderen Herrschaften bevorzugten helleres, leichtes Schuhwerk. Heinrichs Stiefel hatten einen hohen Schaft, glänzten schwarz und trugen sich wie eine zweite Haut. Er hatte sie noch am Morgen höchstpersönlich mit der eigenen Spucke gewichst.
Jetzt blickte er über den Hafen mit den Fischerbooten, und Erinnerungen überfielen ihn. Simpsonhafen hatte dieser gottverlassene Ort geheißen, als er ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Gerade mal elf Jahre alt war er damals gewesen, und im Begriff, Neuguinea mit seiner reichen Tante zu verlassen.
Heinrich strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die ihm die Seebrise übers Auge geweht hatte. Unglaublich, wie primitiv und simpel alles noch immer aussah. Er war nun an die hanseatische Architektur gewöhnt. Imposante Handelshäuser, Villen am Elbstrand. Selbst die Speicher im Hafen zeugten noch vom Wohlstand und Fleiß ihrer Besitzer. Unglaublich, wie klein und ärmlich sich dagegen der Ort seiner Kindheit präsentierte. Die gesamte Bucht schien in den vergangenen sechzehn Jahren seltsam geschrumpft zu sein.
Heinrich sah den Rauchschwaden des Tavurvur nach, die vor ihm in den klaren Himmel aufstiegen, wo sie sich allmählich auflösten und als Dunstschleier übers Blau legten. Der Anblick hatte eine unerwartet entspannende Wirkung auf ihn.
Er verlagerte sein Gewicht aufs rechte Bein, mit der Fußspitze des linken drückte er seine Zigarette aus und kickte sie mit der Hacke über Bord. Kaum zu glauben, dass dies seine Heimat sein sollte. Im Grunde spielte Papua keine Rolle mehr in seinem Leben, und er wäre nicht zurückgekommen, wenn es da nicht einige Papiere über seine Herkunft gäbe, deren er nur hier habhaft werden konnte. Wenn er sie erst einmal in Händen hielt, stand seiner großartigen Zukunft nichts mehr im Wege.
Sein Vater, Richard Parkinson, war Herzog
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