Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
drohte, das alte Farmhaus zu überwuchern; die Bretter der Veranda waren von Termiten und Schimmel zerfressen. Ein Geruch von Moder ließ Heinrich die Nase rümpfen, noch bevor er das Gebäude tatsächlich betreten hatte. Es war der Geruch der Regenzeit, den er schon als Kind nicht hatte leiden können. Er achtete darauf, wohin er seinen Fuß setzte, und klopfte an die Tür. Seit er mit Emma fortgegangen war, hatte er seine Mutter nicht wiedergesehen. Anfangs hatten sie sich noch regelmäßig geschrieben, dann kam der Krieg und unterbrach den Kontakt. Halbherzig nahm er ihn später wieder auf, aber eigentlich nur noch, um ihr die wesentlichsten Informationen über sein Leben mitzuteilen. Dann, als er auf der Offiziersschule angenommen worden war, hatte er sich auf ihren letzten Brief hin gar nicht mehr gemeldet.
Phebe öffnete die Tür und beäugte ihn misstrauisch. Es kam wohl nicht oft vor, dass sich Fremde nach Kuradui verirrten.
»Ja?«, fragte sie auf Englisch und wischte sich die Hände an der Schürze ab. Sie wich einen Schritt zurück, um ihn genauer anzusehen. »Bibi?«, fragte sie zögernd. »Bist du das?« Sie sprach jetzt Deutsch mit ihm. Heinrich richtete sich auf und lächelte, als er sah, wie sich Wiedererkennen in Phebes Augen spiegelte.
»Nein, Mutter. Bibi habt nur ihr mich genannt.«
Phebe runzelte die Stirn.
»Gestatten? Heinrich von Beringsen«, sagte er leicht ironisch und ließ eine angedeutete Verbeugung folgen. Heinrich merkte, dass er seine Mutter mit seinem unerwarteten Auftritt verwirrt hatte, doch jetzt schien sie sich gesammelt zu haben und begrüßte ihn herzlich.
»Heinrich! Was für eine Überraschung, dich wiederzusehen! Lass dich umarmen!« Sie trat auf ihn zu und legte ihre Arme um seinen steifen Oberkörper. Er klopfte Phebe mit der Hand auf den Rücken und löste sich gleich wieder aus der Umarmung.
»Bitte komm doch herein!« Sie ordnete mit einer fahrigen Bewegung ihr Haar und zupfte sich im Gehen die schlichte Baumwollbluse zurecht.
Heinrich folgte ihr in den Salon. Er schüttelte abschätzig den Kopf, als er die Rückenansicht seiner Mutter betrachtete. So reizvoll die Samoanerinnen in der Jugend waren, im Alter wurden sie fett und unansehnlich. Seine Mutter war da leider keine Ausnahme. Sie hatte den Hintern eines Brauereigauls. Sie musste schon über sechzig sein, überschlug er. Und sie sah keinen Tag jünger aus.
Phebe nahm auf dem einzigen Sessel Platz und deutete aufs Sofa. »Setz dich doch, bitte!«
Heinrich ließ den Blick im Raum umherschweifen. Die Stofftapete war schon lange nicht mehr erneuert worden und zeigte an einigen Stellen Stockflecken. Es roch muffig, wahrscheinlich waren auch die Möbel vom Schimmel befallen. Er würde den Teufel tun und seine hellen Hosen ruinieren.
»Wenn es dir nichts ausmacht, bleibe ich lieber stehen. Die lange Schiffsreise, man hängt viel zu lange faul an Deck herum.«
Phebe stand wieder auf. »Ach, du meine Güte, ich habe dir noch gar nichts zu trinken angeboten. Wie wär’s mit einem Tee?« Heinrich nickte, und Phebe ging in Richtung Küche.
»Hast du denn keine Haus Bois? «, fragte er mit hochgezogener Braue. Phebe drehte sich zu ihm um.
»Ach, schon lange nicht mehr. Seit Emma tot ist, ist es mit den Plantagen ständig bergab gegangen. Die Australier haben sie mir zwar zurückgegeben, aber leider nicht im besten Zustand, und nun fehlt es mir an Arbeitern.« Sie zuckte mit den Schultern. »Was will man machen? Ohne Emmas Einfluss und Geld …« Sie beendete den Satz nicht und machte eine entschuldigende Geste in den Raum hinein. »Tut mir leid, dass ich dir nicht mehr bieten kann. Die Zeit hat Kuradui und seiner alten Besitzerin ganz schön zugesetzt, was?« Sie scherzte, aber ihre Augen sahen betrübt drein. »Da rede ich nur über mich und jammere in einem fort. Und jetzt schau einer dich an!« Sie fasste ihn mit ausgestreckten Armen bei den Schultern, um ihn genauer zu betrachten. »Was für ein stattlicher junger Mann aus dir geworden ist! Du musst mir unbedingt erzählen, wie es dir in den letzten Jahren ergangen ist. Aber erst einmal hole ich uns den Tee. Entschuldige mich für einen Moment!«
Sie rauschte aus dem Raum. Heinrich wartete, bis er Geräusche aus der Küche hörte. Dann ging er leise zum Sekretär hinüber und zog vorsichtig die Schubladen auf. Er wollte sich nicht auf das Wort seiner Mutter verlassen, was die Situation auf Kuradui betraf. Lieber verschaffte er sich einen Eindruck aus erster
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