Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
schweigen. »Man fand dich zwischen den Leichen deiner Eltern, die im Hochland-Massaker von den Kriegern des Baining-Stamms getötet wurden. Du warst damals drei Jahre alt. Das ist die Wahrheit, Bibi! Du bist nicht unser Sohn. «
Die letzten Worte hatte sie mit ruhiger, beinahe sanfter Stimme gesprochen, als ahnte sie, welche Wunde sie ihm damit schlug.
Heinrich holte tief Luft, atmete langsam wieder aus. Er legte seine Hände auf die Sessellehne, ließ den Kopf hängen. Nicht aus Schwäche, er dachte nach.
Phebe nutzte die Pause, nahm noch einmal ihren Mut zusammen und fuhr fort: »Dein Vater war Ludwig Kiehl, ein lutheranischer Priester. Deine Mutter war Pho, eine meiner Nichten aus Samoa. 1904 haben die Eingeborenen sie und deinen Vater ermordet, zusammen mit den Nonnen und den Priestern der St.-Paul-Mission.«
Er hob den Kopf, sah sie aus eiskalten Augen an.
»Das ist eine gemeine Lüge!«
Heinrich stürmte aus dem Haus. Das Gespräch mit Phebe hatte ihn vollkommen aus der Fassung gebracht und tief in ihm etwas ausgelöst, das er weder verstand noch zu kontrollieren vermochte. Er kletterte hastig auf den Kutschbock und peitschte das Pferd zu einem schnellen Trab. Das Flackern, die Blitze, die urplötzlich angefangen hatten, vor seinem inneren Auge zu zucken, sie wollten dennoch nicht aufhören, und mit einem Mal sah er grausame Bilder vor sich: ein Mann und eine Frau, fürchterlich zugerichtet, in ihrem Blut. Die Frau bewegte lautlos ihre Lippen und streckte quälend langsam die Hand nach ihm aus, ohne ihn zu erreichen. Ein Stechen schoss durch Heinrichs Brust und bohrte sich tief in sein Herz. Es war der Schmerz eines verlassenen Kindes.
Heinrich schlug auf den Gaul ein. Dieser Ort war verdammt! Zur Hölle mit allen, die hier lebten! Erst als er sah, dass das Pferd am Rand der Erschöpfung war, hielt er an. Das schnaubende Tier warf unruhig den Kopf hin und her, das Fell nass vor Schweiß. Heinrich sprang vom Kutschbock, das Herz schlug ihm bis zum Hals.
Er lief zum Strand hinunter. Die See hatte schon immer eine beruhigende Wirkung auf ihn gehabt. Der monotone Rhythmus der Wellen. Das immer gleiche Geräusch, wenn sie am Ufer ausliefen.
Er musste unbedingt wieder einen klaren Kopf bekommen. Diese blutigen Bilder, die er vor seinem inneren Auge gesehen hatte, sie ließen ihn nicht mehr los. Der verstümmelte Mann, die sterbende Frau. Wer war das?
Als Heinrich vom Sand aufblickte, sah er aus der Ferne einen Einheimischen von einer Kokospalme herabklettern. Unten angekommen, sammelte er abgeschlagene Kokosnüsse in einem Sack und ging dann auf ihn zu. Als der junge Mann näher kam, sah Heinrich die Machete, die der Kokossammler in seiner Rechten trug, die Klinge zum Boden gerichtet.
Heinrichs Puls, der sich gerade erst wieder einigermaßen beruhigt hatte, begann plötzlich erneut zu rasen. Die Bilder von Blut und Tod ließen ihn schwindlig werden. Die misshandelten Gesichter der Toten kamen näher und näher. Er sah die Lippen der Frau. Sie wollte ihm etwas sagen. Was? Ihre Hand griff nach ihm, und er konnte nichts tun.
Als der Einheimische an ihm vorbeiging, sah Heinrich die Machete übergroß vor sich. Verzerrt. Bedrohlich.
Ohne zu wissen, was er tat, schlug Heinrich dem Fremden die Faust ins Gesicht und trat, als dieser zusammenbrach und bewusstlos im Sand lag, auf ihn ein. Was dann geschah, daran konnte er sich später nicht erinnern. Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit inzwischen vergangen war, als er sich, nun kniend, neben diesem Papua wiederfand; ein dünner Faden Blut rann dem Mann aus dem Mundwinkel und versickerte im Sand.
Heinrich suchte in seiner Hose nach einem Taschentuch, und als er es fand, stand er auf, bückte sich und wischte die feinen Körner von seinen Stiefeln. Er musste zurück nach Kuradui, er hatte noch Fragen an Phebe.
Mit einem Tritt öffnete er die Haustür. Er spürte, wie sich die Wut wieder in ihm ausbreiten wollte, und schloss kurz die Augen, um nicht vollends die Kontrolle über sich zu verlieren. Als er die Augen öffnete, sah er Phebe, die sich schutzsuchend in die Ecke des Salons gedrängt hatte. Ohne zu zögern, ging er auf sie zu. Phebe stand still.
»Wer außer dir weiß von diesen Lügen?«, fragte Heinrich. Er klang gehetzt.
Als Phebe schwieg, packte er sie plötzlich an der Bluse und zog sie zu sich heran. »Hör zu, alte Hexe. Du bist mir völlig egal, aber ich bin Richards Sohn, und ich werde jeden töten, der etwas anderes behauptet. Hast du mich
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