Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
machte der Pastor den Fehler, mit Pho und seinem Sohn in einer Hütte nahe der Herz-Jesu-Mission zu übernachten. Er hätte es besser wissen müssen. Die Spannungen zwischen den Baining und dem Orden waren ihm ja durchaus bekannt. Angeblich wollte er zwischen den Parteien vermitteln und die Ordensbrüder dazu bewegen, größere Milde im Umgang mit dem Stamm und seinen Sitten walten zu lassen.
Stimmt es eigentlich, was man sich erzählt? Dass Pater Rascher einen jungen Mann in Ketten legen ließ, weil er ihn mit einer Frau erwischt hatte?
Ich will keineswegs die scheußlichen Taten der Baining rechtfertigen. Dass sie einen Lutheraner nicht von einem Ordensbruder unterscheiden können, verstehe ich. Dass sie meine wunderbare Nichte regelrecht abgeschlachtet haben, ist und bleibt mir jedoch unbegreiflich. Das Kind haben sie immerhin am Leben gelassen. Im Blut seiner Eltern sitzend, hat man Bibi gefunden. Dieses Bild verfolgt mich noch immer, auch nach all den Jahren.
Jetzt wissen Sie, warum der Junge so lange nicht gesprochen hat. Er ist seelisch zutiefst beschädigt, und deshalb nehme ich ihn nun mit nach Europa – in der Hoffnung, einen Arzt zu finden, der ihm helfen kann, dieses grausame Erlebnis zu überwinden.
Phebe ist am Ende ihrer Kräfte. Ich bringe Bibi zu Richards Verwandten und statte ihn mit einem finanziellen Polster aus. Mehr kann ich für ihn nicht tun. (…)
Dieser Brief macht mich traurig. So viel Leid, und alles nur, um es eurem Herrn recht zu machen. Obwohl es auch der Glaube meiner Schwester ist: Ich hoffe inständig, dass Ihre Kirche diese Inseln bald verlässt – für immer. Aber das bleibt wahrscheinlich nur ein Traum und ändert nichts daran, dass ich Sie als Freund sehr vermissen werde.
Leben Sie wohl,
Ihre Emma Kolbe
Nachricht aus dem Rabaul Observer vom
22. 03. 1928, Phebe₋Parkinson₋Archiv, Archivnummer 061
Kokopo. – Gestern Morgen wurde Morris Kirrau (36) ermordet am Strand nahe Kokopo aufgefunden. Spielende Kinder hatten den grausam zugerichteten Leichnam entdeckt und die Polizei informiert. Wahrscheinliches Tatwerkzeug war Morris’ eigene Machete, mit der er offenbar noch kurz vor dem Angriff Kokosnüsse von einer nahe gelegenen Palme geschlagen hatte. Für das Verbrechen gibt es bislang weder Hinweise noch Zeugenaussagen. Die Polizei bittet die örtliche Bevölkerung um ihre Mithilfe bei der Aufklärung. Morris hinterlässt eine Frau und acht Kinder.
Neuguinea, Anfang Mai 2011
K atjas Mutter hatte sie per Mail vorgewarnt. Ihr Vater war wieder auf dem Weg nach Melanesien, auch dieses Mal wegen der nicht enden wollenden Probleme rund um diese »unsägliche Mine«, wie sich Margarete von Beringsen ausdrückte. Bemüht beiläufig erwähnte ihre Mutter auch, dass sie sich von der erneuten Reise ihres Gatten nach Neuguinea ein Zusammentreffen von Vater und Tochter versprach, das hoffentlich kitten würde, was da letztens zerbrochen war.
Wie wär’s, wenn ihr euch zum Abendessen trefft? Wenn du also einverstanden bist, rufe ich deinen Vater an, damit er sich bei dir meldet, ja?
Ihre Mutter zeigte sich gewohnt schlecht in der Kunst, wahre Absichten zu kaschieren, und Katja liebte sie dafür. Ihre Mutter war in dieser Hinsicht so erfrischend anders als der Rest der Familie.
Katja schüttelte lächelnd den Kopf. Margarete von Beringsen würde nie aufhören zu versuchen, die Familie zusammenzubringen. »Rutscht doch zusammen, Kinder!« Dieser Satz, den ihre Mutter einmal vor mehr als zehn Jahren anlässlich eines Sommerfestes mit zu wenig Sitzbänken den Gästen zugerufen hatte, war Katja aus irgendeinem Grund im Gedächtnis haften geblieben. Ihrer Ansicht nach umschrieb er perfekt den nahezu verzweifelten Wunsch ihrer Mutter nach Familienharmonie. Ein Wunsch, der sich bislang nicht erfüllt hatte. Katja seufzte. Arme Mutter!
Seufzend zückte sie ihr Handy, um ihrer Mutter eine SMS zu schreiben. Sie würde sich auch dieses Mal ihrem Wunsch fügen. Halbherzig und aus schlechtem Gewissen. Doch insgeheim hoffte sie, dass sich Margaretes Wunsch vom Familienfrieden erfüllen möge. Eine knappe Stunde später erhielt sie eine Textnachricht von ihrem Vater:
Wunderbar! Simse mir, wo wir uns zum Essen treffen. PS: Ich habe eine Überraschung für dich.
Drei Tage später parkte Katja ihren Barina unmittelbar vor dem Eingang des Fischrestaurants am Strand von Kokopo. Wenn sie könnte, hätte sie jetzt vor sich hin gepfiffen. Gegen das klamme Gefühl in ihrer Brust, gegen die aufkommende
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