Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
den Nagelkopf, den ein Geflecht von Schnüren mit den Plastikbehältern verband. »Die Flaschen strecken das Bein. Ganze sechs Wochen dauert das.«
»Armer Kerl«, sagte Katja bedauernd.
Lambert seufzte. »Wäre der Kleine in Deutschland behandelt worden, hätte er gleich nach der OP aufstehen können.« Er wandte sich an den Jungen und kniff ihm freundschaftlich die Wange. »Du fällst mir nicht mehr so schnell vom Baum, was?« Der Kleine grinste breit.
Die ersten Tage im Missionskrankenhaus verliefen besser, als Katja anfangs gedacht hatte. Bis auf die Spitzen von Joy, die mit solcher Regelmäßigkeit auf sie niederprasselten, dass es sie fast schon zu amüsieren begann, herrschte ein kollegiales Verhältnis im Krankenhaus. Katja führte dies auf die dünne Personaldecke und die mangelhafte Ausstattung zurück: Für Stutenbissigkeiten, Kollegenschelte oder gar Intrigen blieb einfach keine Zeit im St. Mary’s. Joy war da nur die berühmte Ausnahme von der Regel. Jeder schien froh zu sein, wenn er den langen Arbeitstag bewältigen konnte und am Ende seiner Schicht die Patienten versorgt wusste. Dazu bedurfte es eines eingespielten Teams, das reibungslos funktionierte. Der Ton war rauh und direkt. Katja schätzte diese Umgangsweise. Sie konnte Lambert und seine Art nun besser verstehen.
Am Ende ihrer ersten Arbeitswoche lud er sie in den Deutschen Club nach Rabaul ein.
»Ein Überbleibsel aus der deutschen Kolonialzeit«, sagte er, während sie an einem der blindgescheuerten Resopaltische Platz nahmen.
»Nicht gerade viel los«, bemerkte Katja, als sie den Stuhl zurückschob, um sich hinzusetzen.
Das unangenehm kratzende Geräusch von Stahlfüßen auf Beton hallte durch den leeren Raum. Sie blickte sich um. Außer ihnen und dem Barkeeper, einem Weißen um die sechzig, war niemand da. Ein schmutzstarrender Ventilator drehte sich an der hohen Decke und klapperte in seinem eigenen Rhythmus. Kaum saßen sie, stand auch schon das Bier vor ihnen. Falls es jemals eine Schaumkrone getragen hatte, war sie dem Keeper auf dem Weg zu ihrem Tisch abhandengekommen.
»Woher wusste er, was ich trinken möchte?« Verwundert blickte sie von der apathischen Bedienung zu Lambert. Der zuckte mit den Schultern.
»Was sollte man im Deutschen Club sonst schon trinken wollen?«, antwortete er und nahm einen großen Schluck. Katja beobachtete, wie ihm das Kondenswasser über den Handrücken lief. Er wischte die Hand an seiner Hose ab. »Was meinen Sie? Halten Sie es eine Weile bei uns aus?« Seine Worte klangen leicht dahingesagt, doch seine Augen schauten forschend. Katja kratzte sich nachdenklich die Stirn. Um Zeit zu gewinnen, nahm sie ebenfalls einen Schluck. Das Bier war so kalt, dass es an den Zahnwurzeln schmerzte. Sie verzog das Gesicht, schüttelte die Empfindung dann weg.
»Ja, ich denke schon. Es gefällt mir im St. Mary’s. Außerdem will ich noch ein paar Dinge über mich und meine Familie herausfinden.«
Lambert nickte befriedigt, prostete ihr zu. »Freut mich, dass Sie bleiben! Wie gesagt, wir können Sie schon jetzt kaum noch entbehren.«
»Ich kann mich zwar nicht erinnern, dass Sie das jemals gesagt hätten, aber ich nehme das Kompliment gerne an.«
Sie legte den Kopf schief und lächelte. Lambert rieb sich verlegen den Nacken. Sein Kinn war heute rasiert, was ihn gleich viel jungenhafter aussehen ließ. Er drehte sich in Richtung Bar und hob den Zeigefinger, um zu bestellen. Dann wandte er sich ihr zu: »Für Sie auch Schnitzel mit Pommes und Jägersoße?«
»Eigentlich esse ich kaum Fleisch. Was gibt es denn sonst noch?« Sie schaute sich suchend um.
»Vergessen Sie’s. Eine Speisekarte gibt’s hier nicht. Sie sind Vegetarierin?«, fragte er nuschelnd. Katja verneinte lächelnd, doch Lambert ignorierte sie. »Pommes mit Soße also?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Meinetwegen«, sagte sie.
Lambert wischte sich den Mund mit einer Papierserviette ab, legte sie auf dem leer gegessenen Teller ab und schob ihn beiseite.
»Darf ich Sie etwas Persönliches fragen?«, setzte er plötzlich an.
»Schießen Sie los!«, entgegnete Katja forsch, obwohl sie fühlte, wie sich Beklommenheit in ihrer Magengrube breitzumachen begann. Lambert räusperte sich.
»Eine Frau wie Sie mit einer derart stellaren Karriere … Was hat die hier zu suchen?« Er spielte mit dem Salzstreuer, während er sie von unten ansah.
Katja gefror. Lamberts Frage hatte sie eiskalt erwischt. Unbewusst legte sie die Hand auf den Ehering,
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