Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
Kino oder ins Restaurant, aber das war seit Jahren ihre einzige Ablenkung. Ihr letzter wirklicher Urlaub, das war mit Michael. Zwei Wochen, über Ostern, in Griechenland zum Segeln. Im Mai darauf war Michael tot.
Sie seufzte. Es wäre bestimmt nicht die schlechteste Idee, ihre selbstgewählte Einsamkeit für eine Weile aufzugeben. Zwar nicht in der Absicht, einen Mann kennenzulernen, wie ihre Mutter hoffte, aber um aus der alten Tretmühle rauszukommen. Außerdem, überlegte Katja nun schon einigermaßen ernsthaft, hätte sie so eine hervorragende Ausrede, sich noch einmal vor dem verhassten Geburtstagsfest zu drücken. Sie konnte Großvater Albert nicht sonderlich leiden; im Grunde mochte sie die gesamte Familie väterlicherseits nicht, und das schloss ihren Vater Rudolf ein. Die Möglichkeit, dem alljährlichen Großaufgebot der Sippschaft ein weiteres Mal entgehen zu können, erschien ihr mehr als verlockend.
Außer ihrer Abneigung der Verwandtschaft gegenüber gab es seit fast drei Jahren aber noch einen weitaus gewichtigeren Grund, weshalb sie mit der Familienfeier nach Möglichkeit nichts mehr zu tun haben wollte: Vor drei Jahren hatte sie dort vom Unglück erfahren. Ursprünglich war geplant, dass Michael und sie die Feier gemeinsam durchstehen würden, doch dann erhielt er relativ kurzfristig das unwiderstehliche Angebot einer Produktionsfirma für einen Dreh in Australien, zu dem er natürlich nicht nein sagen konnte. Es ging um eine Dokumentation über die Naturschutzgebiete Tasmaniens – eine Aufgabe genau nach Michaels Geschmack.
Nachdem sie damals auf dem Geburtstag ihres Großvaters von dem grauenhaften Unfall informiert wurde, hatte sie zunächst erwogen, nach Tasmanien zu fliegen, um Michaels Urne nach Hause zu bringen, sich dann aber dagegen entschieden. Sie fürchtete, der Anblick der verkohlten Erde, wo der Hubschrauber verbrannt war, würde sie vollends niederwerfen. Mehr war laut Rolf, einem Freund und Kollegen Michaels, nicht übrig geblieben. Das stimmte nicht ganz, denn es gab auch Bilder aus Tasmanien. Filmmaterial, das Michael bereits nach Deutschland überspielt hatte. Auf ein paar Schnipseln des ungeschnittenen Rohmaterials war er selbst zu sehen, der Kameramann. Wie er sich mit der Producerin darüber unterhielt, auf welche Weise sich die überwältigende Natur Tasmaniens am besten einfangen ließe. Wann die beste Zeit zum Drehen war: Sonnenaufgang, Sonnenuntergang? Wann wäre das Licht am günstigsten?
Katja hörte ihn. Sie sah ihn. Er lächelte, wirkte glücklich. Kein Wunder, dachte sie. Er tat, was er liebte.
Rolf und die Redaktion machten ihr wenig Hoffnung, am Unglücksort noch irgendetwas von Michaels Dingen zu finden. Was nicht in der Hitze der Flammen zu Asche geworden war, hatte die Wucht der Explosion weit in die unzugängliche Wildnis hineingeschleudert. Ein Bergungstrupp hatte eine Woche lang die Umgebung abgesucht und dabei seinen Ehering entdeckt. Dieser Fund war so unglaublich, dass Katja sich zwingen musste, nicht wie ihre Mutter von einem Wunder zu reden. Rolf brachte ihr dann dieses letzte Andenken. Die tasmanischen Behörden hatten ihn an die TV-Produktion nach Deutschland geschickt. Seither trug sie den schlichten Schmuck aus Weißgold an einer silbernen Kette um den Hals. Immer wieder ertappte sie sich dabei, wie sie unbewusst danach griff und das kühle Metall befühlte. Erst strichen ihre Finger über die äußere Delle, die eine Folge des Unfalls war, um dann innen der Gravur nachzuspüren. Du & Ich. Für immer. Katja & Michael. 11. Mai 2006. Neben seiner Reisetasche, die ihr ebenfalls aus Tasmanien zugeschickt wurde, und den Dingen, die Michael in ihrer Wohnung zurückgelassen hatte, war das alles, was ihr von ihm geblieben war. Wäsche, die nach ihm roch. Unzählige Fotos auf seinem Computer, der in seiner Arbeitsecke auf dem alten Holztisch stand. Seine Kameras, die Briefe.
Katja spielte gedankenverloren mit dem Schmuck. Papua-Neuguinea war gar nicht weit von Australien entfernt. Sie könnte die Reise zu diesem Beerdigungszeremoniell mit einer Reise nach Tasmanien verbinden. Vielleicht war die Zeit gekommen, endgültig Abschied zu nehmen.
Deutsch-Neuguinea, Missionsstation Raluana, 13. August 1904
J ohanna war erschöpft, aber zufrieden. Am Morgen hatte sie mit Hilfe dreier Mädchen aus dem Dorf alle Böden geschrubbt, die Betten neu bezogen und die Küche geputzt, aus der es nun angenehm nach frisch gebackenen Scones duftete, die Ludwig so liebte. Er
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