Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
auf die Dinge zu werfen. Gelegenheit macht Diebe, sagte sie zu ihrer Rechtfertigung, als Katja einmal gefragt hatte, warum sie sich die ihrer Meinung nach unnötige Last auflud. Oberflächlich betrachtet, mochte der Großvater den Anblick eines gebrechlichen Mannes bieten, doch anders als ihre Mutter hielt Katja ihn für alles andere als hilflos.
Katja wartete im blauen Salon. Sie war eine halbe Stunde vor der verabredeten Zeit eingetroffen und hatte vollkommen vergessen, wie strikt ihr Großvater sich von jeher an seinen Tagesablauf hielt. Das erklärte allerdings nicht, weshalb er seine Enkelin ausgerechnet im Salon empfangen wollte, dem formellsten Raum im ganzen Haus. Schließlich hatte er um dieses Treffen gebeten. Und dieses eine Mal war es Katja sogar recht, ihn zu sehen, denn sie hoffte auf Informationen, die nur er ihr geben konnte, unter anderem über den Vogelmann. Außerdem war sie neugierig, was er mit ihr besprechen wollte.
Sie stand auf und durchschritt den Raum bis zum anderen Ende. Ihre Absätze verursachten einen unangenehmen Hall. Als Mädchen hatte sie der Salon mit seinen hohen Wänden und den antiken Möbeln derart eingeschüchtert, dass sie sich geweigert hatte, ihn zu betreten. Ihr Großvater wusste, dass sie den Raum nicht mochte. Wieso bestand er darauf, sie hier zu empfangen? Wahrscheinlich wollte er ihr in Erinnerung rufen, wer in der Familie das Sagen hatte.
Katja schüttelte unwillkürlich den Kopf. Wie um sich selbst zu beweisen, dass ihr Großvater sie keineswegs im Griff hatte, fasste sie jeden Gegenstand an, der ihr unter die Finger kam. Sie erinnerte sich daran, wie er sie einmal angeschrien hatte, nur weil sie eine seiner wertvollen Vasen berührt hatte. Gedankenverloren fuhr sie über den Goldrahmen, der ein Porträt ihres Großvaters als junger Mann einfasste, als ihre Mutter und Albert von Beringsen durch die Flügeltür auf sie zukamen.
»Ein hübscher Kerl, was? Komm her und lass dich umarmen!« Ihr Großvater kicherte und breitete die Arme aus. Margarete schob den Rollstuhl bis zur Sitzecke vor und stellte die Bremse fest. Katja bückte sich, um ihn zu begrüßen, danach gab sie ihrer Mutter einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Was wollte er nur von ihr? Bestimmt hing es mit ihrem Aufenthalt in Papua-Neuguinea zusammen.
In der Familie ihres Vaters war es stets ums Geschäft gegangen. Katja und ihre Mutter setzten sich Albert gegenüber aufs Sofa. Er sah sie aus leicht zusammengekniffenen Augen an. »Gut siehst du aus. Ein bisschen erschöpft vielleicht. Soll ich nach Kaffee klingeln?«, sagte er dann. Katja schüttelte den Kopf.
»Danke. Und du? Wie geht es dir?«, fragte sie ihrerseits nach.
Albert von Beringsen fuchtelte sich mit seiner sehnigen Hand vor dem Gesicht herum, als wolle er eine lästige Fliege verscheuchen.
»Ach, in meinem Alter ist nichts mehr gut, aber die Maschine dampft noch, wenn es das ist, was du meinst. Ich kann also nicht klagen. Wenn nur das schlimme Bein nicht wäre.«
Er fasste sich mit beiden Händen an den rechten Oberschenkel. »Es schmerzt jetzt eigentlich ständig. Ohne Rollstuhl geht es fast nicht mehr.« Er machte eine wegwerfende Bewegung. »Na ja, so ist das eben«, fuhr er fort, »nur Wein wird mit den Jahren besser, und selbst das gilt nicht für jede Flasche.« Er lachte laut auf und strich sich mit der Hand über den blanken Schädel, der dicht mit Altersflecken überzogen war. Katja schenkte ihm ein dünnes Lächeln.
»Da hast du sicher recht.« Sie räusperte sich. »Großvater, weshalb wolltest du mit mir sprechen?«
»Warum denn gleich so geschäftsmäßig, Katja? Erzähl mir doch zunächst ein bisschen von Papua. Es ist schon so lange her, seit ich dort war. Ich hab so vieles vergessen. Na komm, hilf einem alten Mann, seine Erinnerungen ein wenig aufzufrischen.«
Katja zog die Brauen zusammen. Sie fragte sich, was Großvater Albert im Schilde führte. Sie war auf der Hut. Leute, die ihren Großvater nicht gut kannten, hielten ihn wegen seiner exzentrischen Ader oft für ein wenig verrückt, dabei verfügte er über einen messerscharfen Verstand. Und er hatte ein gewisses Talent, mit Leuten umzugehen. Katja hatte nicht vor, sich von ihm einwickeln zu lassen. Oder war es möglich, dass er sich im Alter geändert haben könnte? Es hieß doch, Menschen würden im Alter weicher. Katja verwarf den Gedanken. Großvater Albert und sentimental? Das klang für sie nach einem unauflösbaren Widerspruch.
»Erzähl, wie war denn
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