Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
selten und nie lange genug bei mir auf Raluana, als dass wir uns enger miteinander hätten befreunden können. Ich habe mich nach der Fehlgeburt so allein gelassen gefühlt. Wenn du nicht gewesen wärst, ich weiß nicht, was ich getan hätte. Es ist nicht nett, das zu sagen, aber als ich ihn am meisten gebraucht hätte, war Ludwig nicht für mich da.«
Phebe wandte den Kopf ab und schneuzte sich in ihr Tuch. »Vorbei ist vorbei. Ich mache ihm keinen Vorwurf. Ich war ein junges Ding. Was hätte er schon großartig mit mir erörtern wollen? Die Weltpolitik? Heute würde ich ganz anders mit ihm reden.«
»Du meinst eher so wie mit dem Sergeant?«
»Genau. Mehr von Gleich zu Gleich.«
Phebe stand auf. »Meinen Segen hast du. Bill ist ein guter Mann. Lass ihn nicht gehen!« Sie tätschelte Johannas Oberschenkel. »Na, komm. Zeit fürs Abendbrot. In spätestens einer halben Stunde fällt die Rasselbande ein.«
Neun Monate später wurde Bill Hunter nach Europa abkommandiert. Der Marschbefehl kam nicht überraschend. Die neue Administration war eingesetzt, die alte längst abgewickelt, und für die Soldaten gab es nichts weiter zu tun. Doch bevor Bill Hunter sich von Johanna verabschiedete, bat er sie, seine Frau zu werden.
Auszug aus einem Artikel in:
Die große Enzyklopädie der Weltmythen,
Phebe₋Parkinson₋Archiv, Archivnummer 007
Der Vogelmann
Die Figuren vereinen einen menschlichen (männlichen) Körper mit dem Kopf eines Vogels. Die wenigen noch erhaltenen Statuen sind sehr unterschiedlich gestaltet, sie variieren in Material, Größe, Haltung, Gestalt des Schnabels und im Körperbau. Einige besitzen Flügel. (…)
Die Figuren sind ein Abbild des mythischen Vogelmannes. Ethnologen weisen darauf hin, dass dieses Mischwesen in zahlreichen Kulturen der Erde vorkommt. In der Regel sind sie mit Fruchtbarkeitsriten assoziiert. (…)
In Samoa fand man als Grabbeigabe Jadeschmuck für einen Häuptling, unter anderem eine Halskette mit einer geierköpfigen Menschengestalt als Anhänger. Diese Figur gilt als ein Symbol für Macht und Reichtum. Eine ähnliche Figur ist noch aus Guatemala bekannt, wo sie »Großvater Geier« genannt wird. (…)
Köln, 2011
K atja war hundemüde vom langen Flug. Sie war zwar einmal kurz eingenickt, doch gleich darauf hochgeschreckt, weil sie von der fürchterlichen Fratze und dem grünen Vogelmann geträumt hatte. Danach konnte sie nicht wieder einschlafen, und ihre Gedanken kreisten seither um die Figur, die ihr aus Kindertagen bekannt war. Nicht zum ersten Mal, seit sie mit Maile, Namata und Takari das verstörende Bild gesehen hatte, fragte sie sich, wie alles zusammenhing. Wie kam es, dass Großvaters Figur auf Johannas bedrohlichem Gemälde zu sehen war? Wer war der Mann, der den Vogelmann in seiner Hand hielt?
Ihre Mutter Margarete hatte sie vom Flughafen abgeholt und in ihre Wohnung gefahren. Wie immer, wenn Katja verreist war, hatte ihre Mutter die Blumen gegossen, das Bett frisch bezogen und gelüftet. Der Kühlschrank war mit dem Nötigsten gefüllt.
Es war merkwürdig, wieder in ihrer Kölner Wohnung zu sein. Vertraut und fremd zugleich. Die Zimmer wirkten anders als vor ihrer Abreise nach Papua, und Katja wurde schmerzlich bewusst, woran dies lag. Michaels Affäre ließ sie ihr gemeinsames Nest mit anderen Augen betrachten. Die Wärme und Geborgenheit, die sie nach einem langen stressigen Arbeitstag in der Klinik in ihren vier Wänden empfunden und genossen hatte: Sie waren mit einem Mal verflogen. Sie atmete tief ein, um nicht gleich loszuheulen. Vielleicht hatte ihre Mutter recht, und sie sollte das Appartement verkaufen. Sie schaltete ihre Anlage ein und drehte die Musik bis zum Anschlag auf. Ausnahmsweise war es ihr egal, was die Nachbarn davon hielten.
Katja streifte langsam durch die Wohnung, schaute sich die beiden Räume ganz bewusst an. Dann rauchte sie auf der Terrasse eine Zigarette und ging noch bei Tageslicht schlafen.
Einige Dinge hatten sich nicht verändert. Katja lehnte den Kopf gegen die harte Nackenstütze ihres Sportwagens und genoss die Fahrt ins Bergische Land. Sie hatte am gestrigen Nachmittag mit ihrer Mutter vereinbart, sich gleich beim Großvater zu treffen, für den Margarete regelmäßig mittwochs die Korrespondenz erledigte und auch sonst nach dem Rechten sah. Zwar hatte Albert von Beringsen eine Haushälterin und beschäftigte an zwei Tagen in der Woche eine Sekretärin, dennoch hielt ihre Mutter es für angebracht, regelmäßig ein Auge
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