Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
diese – wie hieß es in der Einladung noch gleich? – Grabverlegungszeremonie? Phebe Parkinson soll ja eine fabelhafte Frau gewesen sein, hoch geachtet. In gewisser Hinsicht fühle ich mich äußerst privilegiert, ihr Enkel zu sein, obwohl ich sie bedauerlicherweise nie kennenlernen durfte. Wenn ich doch nur ein paar Jährchen jünger wäre! Ich hätte mir diese Gelegenheit, mehr über diese Frau zu erfahren, nicht entgehen lassen.« Katja runzelte die Stirn. Was redete er denn da? Wenn Phebe ihm wirklich so wichtig gewesen wäre, hätte er sie da nicht schon vor Jahrzehnten besuchen können, als sie noch lebte? Doch dann begann Katja zu rechnen. Großvater wurde neunzig. Phebe war 1942 gestorben. Sie seufzte. Mit zwanzig, mitten im Krieg, hatten Albert sicherlich andere Dinge umgetrieben, als ausgerechnet seine Großmutter im entfernten Papua näher kennenzulernen. Albert musste ihren abwesenden Blick bemerkt haben.
»Was ist? Macht es dir etwas aus, mir von der Zeremonie zu erzählen?«
»Nein, natürlich nicht.« Sie beschrieb ihm die Masken und Tänze der Einheimischen, berichtete von den Grabreden. Während sie sprach, hatte sie das Gefühl, dass Albert an ihren Lippen hing und jedes Wort in sich aufsog. Tat sie ihm vielleicht unrecht, und er war gar nicht so berechnend, wie sie ihm immer unterstellt hatte?
Sie redeten auch über Phebes Schwester Emma, die das gesellschaftliche Leben der Deutschen in Neuguinea offenbar sehr geprägt haben musste.
»Ja, eine wundervolle Geschäftsfrau«, sagte Albert schwärmerisch. Er nahm Katjas Hände zwischen die seinen.
Katja wurde langsam ungeduldig. »Großvater, bist du dir bewusst, dass die Leute in Papua glauben, unsere Familie sei von einem bösen Geist besessen?«
»Ah, das«, sagte Albert und schaute sie an. »Ich hab mich schon gefragt, wann du die alte Geschichte ansprechen würdest. Es tut mir leid, dass ich nicht vor deiner Abreise mit dir darüber geredet habe. Du musst verstehen, dass mein Vater ein ziemlich schlechter Kerl war, ein Teufel geradezu. Da hast du deine Verbindung zu den abergläubischen Papua! Sie glauben an Teufel, und in ihren Augen war Heinrich genau das. Ich kann es ihnen nicht einmal verübeln.« Alberts Heiserkeit ging in Husten über, und Katjas Mutter, die still neben ihnen gesessen hatte, sprang auf, um ihm ein Glas Wasser zu reichen. Albert von Beringsen nahm einen Schluck und gab Margarete wortlos das Glas zurück. Sie setzte sich wieder neben ihre Tochter. Albert seufzte.
»Wir wissen nicht genau, welches Unwesen er in Papua-Neuguinea getrieben hat, aber die Erinnerung an ihn lebt dort offensichtlich fort. Unser Name wird jedenfalls nicht gerne gehört.« Albert fuhr sich müde mit der flachen Hand über die Augen. »Habe ich deine Frage beantwortet?« Das feine Adernetz in seinen Augen war gerötet.
Katja runzelte die Stirn. Johannas Teufelsbild ging ihr schon die ganze Zeit über nicht aus dem Kopf, doch nun, da ihr Großvater selbst seinen eigenen Vater als Teufel bezeichnete, trat es umso deutlicher vor ihr inneres Auge.
»Großvater, diese fremden Lieder und Tänze, die du uns als Kinder beigebracht hast und die wir zu deinem Geburtstag aufgeführt haben, die stammen aus Samoa, oder?«
Albert nickte bedächtig. Katja hatte das Gefühl, dass er nun seinerseits auf der Hut war.
»Dieser Talisman, den du bei bestimmten Anlässen rumgezeigt hast. Kann ich mir den mal aus der Nähe ansehen? Immer wenn ich mich an ihn erinnere, denke ich an meine Kindheit zurück. Als Kind war er mir manchmal ein wenig unheimlich.«
Ihr Großvater strahlte sie an. »Aber natürlich, mein Herz. Erinnere mich daran, bevor du gehst. Der Vogelmann. Halb Tier, halb Mensch.« Ins Leere starrend, schien Albert von Beringsen sich in seiner eigenen Welt zu verlieren, als er sich unvermittelt gerade hinsetzte.
»Ich habe gehört, dass du auch nach Australien gereist bist? Ich war auch einmal dort. Eine ganz wundervolle Erfahrung! Wo genau bist du denn gewesen?« Erwartungsvoll schaute er sie an.
Katja war alarmiert. Woher wusste Großvater von dem Trip nach Australien? Er lachte, als sie ihn danach fragte.
»Oh, Katja. Ihr Jungen habt eben keine Ahnung, wie sehr ihr uns am Herzen liegt! Du hast doch in Kokopo meinen alten Freund Reuter kennengelernt, oder? Er hat mich ein wenig auf dem Laufenden gehalten. Du bist deshalb doch nicht etwa böse?« Er reckte den Kopf nach vorne. Die Adern an seinem Hals traten hervor wie blaue Schnüre. »Dein
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