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Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand

Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Füße, die nicht mehr an sich halten konnten, die sich auf einen Schlag bewegten, als wollten sie loslaufen, weit weg von hier, weit weg von allem. Er zitterte am ganzen Körper, als wäre er im Fieber. Mit den Armen versuchte er, seinen Kopf zu schützen. Zu schützen vor den Bildern, die ihn immer wieder heimsuchten. So klar und deutlich, als wären sie die Wirklichkeit und die Wirklichkeit nur ein Traum. Er rang nach Atem, musste husten, Tränen traten ihm in die Augen. Er wedelte mit den Armen, um die Bilder zu verscheuchen, und endlich gelang es ihm. Schwer atmend sank er auf dem Stein zusammen und presste eine Hand auf sein wild schlagendes Herz.
    Eines der Kinder kam zu ihm, stellte sich, den Lumpenball unter den Arm geklemmt, vor ihm auf, den Daumen noch im Mund.
    Er starrte auch das Kind an wie ein Ungeheuer, das geradewegs aus der Hölle kam.
    «Weinst du?», fragte das Kind. «Warum weinst du?»
    «Weil ich aus dem Dunkel komme und nicht mehr zurück ins Licht kann», erwiderte der Mann.
    «Kommst du aus der Hölle?» Das Kind ließ vor Schreck seinen Ball fallen.
    «Ich komme aus der Hölle, ich gehe in die Hölle. Überall, wo ich bin, da ist die Hölle.»
    «Dann bist du der Teufel?» Das Kind riss ängstlich die Augen auf, doch es lief nicht davon.
    «Nein, der Teufel bin ich nicht. Nicht ich. Nein, ich nicht.»
    «Aber du kennst den Teufel?»
    Der Mann nickte. «Es gibt nicht nur einen Teufel. Es gibt deren viele. Und die meisten von ihnen sind unter uns.»
    «Bist du auch einer von diesen Teufeln?», wollte das Kind wissen.
    Der Mann beugte sich ein wenig nach vorn und strich dem Kind sanft über das Haar. «Meine Augen haben zu viel gesehen, meine Ohren zu viel gehört, mein Mund hat zu viel versprochen. Ich habe Teuflisches gesehen, aber ich bin kein Teufel. Ich bin der Retter. Verstehst du?»
    Er hob den Ball auf, strich auch darüber und reichte ihn dem Kind. Dabei versuchte er zu lächeln. Etwas in ihm, das vorher ganz kalt und stumpf gewesen war, wurde warm. Aber das bisschen Wärme reichte nicht aus, um in sein Herz zu dringen. «Geh fort von Leuten wie mir», erklärte er dem Kind. «Geh und spiele mit deinen Freunden, solange noch Zeit dafür ist.»
    Das Kind legte den Kopf schief und nickte ernsthaft. Dann zeigte es mit seinem kleinen Finger auf die Sonne. «Du musst da langgehen. Immer der Sonne nach. Dann kommst du nicht mehr ins Dunkel.»
    Wieder lächelte der Mann. «Du hast recht. Immer der Sonne nach. Aber was tut einer, der nicht mehr sehen kann?»
    Da zuckte das Kind mit den Schultern und lief davon, ohne sich noch einmal umzusehen. Der Retter schaute ihm nach. «Immer der Sonne nach», flüsterte er. «Weiß das Kind nicht, dass die Sonne heißer brennt als das Höllenfeuer?»
    Dann erhob er sich langsam und schwerfällig, als wäre er ein alter Mann. Mit gebeugten Schultern verließ er das Ufer und war schon bald im Gewimmel der Stadt verschwunden.
     
    Gustelies konnte lange nicht einschlafen. Sie dachte an Adele Goldschläger und an die Luise Bäckerin. Was haben diese beiden Frauen gemeinsam, überlegte sie, doch ihr fiel wenig ein. Beide Frauen kamen aus Handwerkerhaushalten. Doch die eine wohnte in der ärmlichen Neustadt, die andere in der reichen Goldschlägergasse. Eine war ledig, die andere verheiratet und Mutter. Sie waren beide nicht übermäßig schön, aber auch nicht hässlich. Soweit Jutta Hinterer sagen konnte, waren sie auch nicht miteinander verwandt. Was also verband die beiden Frauen? Gustelies kam einfach nicht darauf, doch am nächsten Morgen brach sie gleich nach dem Frühstück auf, um über die Brücke hinüber in die Sachsenhauser Neustadt zu gehen.
    Der Brückenwärter, ein Mann, den sie schon jahrzehntelang kannte, grinste sie dreckig an. «Na, Gustelies, wie haben wir es denn heute?»
    Gustelies zog die Augenbrauen zusammen. «Gut haben wir es», erwiderte sie. Der Mann kam auf sie zu, so nahe, dass sie seinen säuerlichen Atem riechen konnte.
    «Habt mir schon immer gefallen, Gustelies. Ihr wart aber immer eine von den Besseren. Jetzt frage ich mich, ob wir nicht doch hin und wieder zusammenfinden könnten.»
    Er leckte sich mit der Zunge über die Lippen. Gustelies schüttelte sich. «Was redest du da, Brückenwärter? Bist du besoffen am hellerlichten Morgen schon?»
    Der Mann kicherte und machte Anstalten, Gustelies auf den Hintern zu hauen. Die aber fing seinen vorwitzigen Arm und drehte ihn im Gelenk, bis der Mann leise aufschrie.
    «Ist dir die

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