Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
drüber nachdenke, ist das doch ein seltsamer Zufall.»
«Kein Zufall», erklärte der Richter. «Denn ich erinnere mich, dass der Pater an einem Abend nach der Beichte immer von Bibelstellen mit abgezogener Kopfhaut sprach. Das muss etwas bedeuten! Wenn nun der Verwirrte mit den Hiobszitaten dem Pater die Kopfschwarten gebracht hat?»
«Dann bringt er vielleicht wieder eine, bei der nächsten Beichte.» Bruder Göck hatte Mühe, mit dem schnelldenkenden Richter mitzuhalten.
«Ja, aber dafür brauchen wir Pater Nau. Denn als er bei Euch war, lag nichts im Beichtstuhl nachher – weiß der Teufel, was in so einem Unhold vorgeht!»
Was ihre Erkenntnis noch bedeuten mochte, wagte keiner der beiden Männer auszusprechen: Hella schwebte in höchster Gefahr. Wenn sie noch lebte.
Und jetzt war Heinz Blettner beim Schultheiß, um den Pater aus dem Verlies zu holen. Noch heute. Am Nachmittag sollte wieder eine Beichte stattfinden. Bis dahin musste Pater Nau im Stuhl sitzen, und zuvor musste die Nachricht von seiner Rückkehr in der ganzen Stadt verbreitet werden. Dann würde, dann musste auch der Unbekannte kommen, und Blettner würde sich an seine Fersen heften und nicht lockerlassen, bis er seine Frau gefunden hatte.
Nur ein Problem hatte ihm Sorgen bereitet: Wie konnte er den Schultheiß dazu bringen, die Freilassung für den Pater anzuordnen?
Noch immer hatte Heinz Blettner hierzu keinen Plan, zumindest keinen sehr ausgefeilten. Doch er war entschlossen, mit allen Mitteln zu kämpfen.
Als er den Schultheiß die Treppe herabtaumeln sah, hätte Blettner trotz seiner Müdigkeit und seiner Angst am liebsten laut aufgelacht. Krafft von Elckershausen trug ein weißes Nachthemd, unter dem seine stacheligen Schienbeine hervorlugten. Auf dem Kopf saß die verrutschte Nachtmütze, die ihm bis ins linke Auge hing. Der Schultheiß gähnte mit offenem Rachen wie ein hungriger Hofhund.
«Ich hoffe, Ihr habt einen guten Grund, mich zu wecken, Richter. Einen sehr guten Grund.»
Mit einer Hand winkte er den Richter ins Haus, der Ärmel seines Nachtgewandes wedelte im Takt mit.
Blettner hatte eine kleine Rede auf der Zunge gehabt, die er dem Schultheiß halten wollte. Um Verantwortung sollte es in dieser Rede gehen, um den Wert eines Menschen, um seine Stellung in der Stadt. Doch jetzt brachte er nur einen einzigen Satz heraus: «Meine Frau ist verschwunden!»
«Wie bitte?»
Der Schultheiß drückte Heinz auf eine Bank und gab der Magd ein Zeichen, Branntwein zu bringen, dann forderte er: «Erzählt! Von Anfang an. Und lasst nichts aus.»
Und Heinz berichtete, was er wusste, nur hin und wieder von einem Seufzer aus tiefstem Herzen unterbrochen.
«Lasst Pater Nau frei, Schultheiß, ich bitte Euch sehr, um das Leben meiner Frau.»
Von Elckershausen kratzte sich am Kinn. «Hmm», brummte er. «Hmm, das müssen wir wohl machen. Der Erste Bürgermeister wird mir den Kopf abreißen, aber hier geht es um Dinge, die wichtiger sind als Politik. Ich habe selbst ein Neugeborenes. Meine Frau würde für den Rest ihres Lebens nicht mehr mit mir sprechen, ließe ich Euch nun im Stich.»
Er rief nach seiner Magd. «Geh und hol mir ein frisches Brot und Milch. Aber geh zum Bäcker Frauenholz und erzähl seiner Frau in allen Einzelheiten, dass der Pater Nau aus dem Verlies entlassen wird. Dann lauf zum Liebfrauenberg und hol die Gustelies aus dem Bett. Sie soll nicht zum Verlies, sondern sogleich auf den Markt und die Neuigkeit verbreiten. Hast du verstanden?»
Die Magd sah ihren Herrn zweifelnd an. «In der Kammer ist noch genügend Brot. Wir brauchen nichts. Und warum soll ich erst zum Liebfrauenberg, wenn ich doch vorher beim Bäcker war? Dann wird das Brot doch kalt!»
Der Schultheiß klopfte unruhig mit einem Fuß auf den Boden. «Frag nicht so blöd. Tu einfach, was ich dir sage. Zuerst der Bäcker, dann die Gustelies. Kümmer dich nicht um das Brot, erzähl lieber unterwegs allen, die du triffst, dass der Pater freikommt.»
«Aber warum soll ich denn Brot kaufen, wenn ich mich nicht darum bekümmern soll?» Die Magd blickte verstört zu Heinz Blettner, während der Schultheiß die Augen verdrehte und alle Götter um Hilfe anrief.
Blettner stand auf, packte die Magd beim Arm. «Hör zu», erklärte er behutsam. «Es handelt sich hier sozusagen um eine juristische Angelegenheit, bei der du mittun darfst. Ermittlungshalber, verstehst du? Es geht jetzt nicht um das Brot. Du sollst nur dafür sorgen, dass ein jeder in der Stadt
Weitere Kostenlose Bücher