Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
eingefunden?»
Die alte Seifensiederin schüttelte den Kopf, dann brach es aus ihr heraus. Sie schluchzte, schlug sich vor die Brust, riss an ihrer Kleidung und weinte so herzzerreißend, dass Hella sie besorgt beim Arm nahm und ins Hausinnere führte.
Es dauerte, bis sich die Frau ein wenig beruhigt hatte. «Erzählt mir, was geschehen ist.»
Die Seifensiederin schnäuzte sich in ihre Schürze. «Unser Sohn, er ist tot», flüsterte sie. «Ein Bote brachte die Nachricht. In der Gegend von Wien hat es ihn erwischt. Ein Pfeil traf ihn in den Hals, als er gegen die Türken kämpfte. Nun liegt er in fremder Erde, und niemand steht an seinem Grab.»
Wieder gellten die Schmerzensschreie der verzweifelten Mutter durch das Haus. Hella nahm die Untröstliche in den Arm, wiegte sie wie ein kleines Kind, strich ihr beruhigend über den Rücken. Sie hätte gern etwas Tröstliches gesagt, aber, bei Gott, ihr fiel nichts ein. Was sollte man einer Frau auch sagen, die gerade ihr Kind verloren hatte? Wieder dauerte es, bis die Seifensiederin sich beruhigt hatte.
«Und die Lilo?», fragte Hella sanft. «Ist sie Euch keine Stütze in der schweren Zeit?»
Tränen rannen über das Gesicht der Seifensiederin. Sie hob die Schultern. «Weg ist sie noch immer, die Lilo. Eine Magd hat gehört, wie eine andere berichtet hat, die Lilo wäre auf nach Wien. Doch das kann ich nicht glauben. Mir ist, als hätte ich auch sie verloren.»
«Ist denn jemand da, der sich um Euch kümmert?»
«Die Nachbarin. Sie hilft, wo sie kann. Aber eigentlich ist mir nicht zu helfen.»
Die Seifensiederin schaute auf. «Könnt Ihr mir sagen, Richtersweib, was mein Sohn mit den Türken zu tun hat? Warum hat er sein Leben lassen müssen in einer Schlacht, die uns nichts angeht? Alle habe ich verloren bei diesem Gemetzel, dessen Sinn ich nicht verstehe: Auch Lilo wird nicht wiederkommen, und ich werde kein Enkelkind haben. Niemand wird an unseren Gräbern stehen, wenn der Meine und ich einmal nicht mehr sind. Warum, Richtersfrau? Wir haben doch niemandem etwas getan.»
Hella schüttelte traurig den Kopf. «Der Kaiser hat Euern Sohn in den Krieg befohlen. Vielleicht kennt er die Antwort auf Eure Fragen. Ich verstehe davon so wenig wie Ihr. Aber die Lilo, gebt sie noch nicht auf. Am Ende kommt sie zurück und trägt den Enkel auf dem Arm.»
Die alte Frau schüttelte den Kopf. «Nein, sie ist auch verloren.» Sie legte eine Hand auf ihr Herz. «Hier drinnen spüre ich es. Und gespürt habe ich es auch, als mein einziger Sohn gestorben ist.»
Hella stand auf, strich der alten Frau noch einmal über die Schulter. «Ich wünsche Euch Kraft und Stärke. Verzweifelt nicht.»
«Das ist leicht gesagt», erwiderte die Seifensiederin und sah Hella traurig an. Dann deutete sie auf den schwangeren Leib. «Kommt Ihr mich einmal besuchen, wenn das Kindchen auf der Welt ist? Ich werde ja wohl keine Enkelkinder mehr auf dem Schoß schaukeln können.»
«Ich verspreche es.»
Hella reichte der Frau die Hand, dann verließ sie das Seifensiederhaus.
Gustelies und Jutta Hinterer schlenderten über die Mainbrücke nach Sachsenhausen. Beide trugen dunkle, alte Kleider und Hauben, die bis tief in die Stirn hinein reichten. «Ich wette, wir sehen aus wie alte Kräuterweiblein», kicherte Jutta.
«Oder wie die abgehärmten Frauen der Tagelöhner. Die armen Dinger. Na, jedenfalls werden wir in Sachsenhausen auf die Art kein Aufsehen erregen.»
«Woher weißt du eigentlich, dass Vater Raphael heute Morgen nicht im Findelhaus ist?»
Gustelies kicherte. «Heinz hat ihn aufs Malefizamt einbestellt. Zur Klärung einer anonymen Beschuldigung.»
Sie grinste und kniff ein Auge zu.
«So, so. Und wie lautet die anonyme Beschuldigung, die du dir ausgedacht hast?», wollte Jutta wissen.
«Unterschlagung städtischer Kostgelder für die Findelkinder. Einem solchen Hinweis muss nachgegangen werden. Immerhin bezahlen die braven Bürger der Stadt dafür. Wenn da was dran ist – und wir wissen beide, dass da etwas nicht stimmt –, so kann Heinz beim Schultheiß und beim Rat gut Wetter machen.»
Jutta schlug ihrer Freundin anerkennend auf die Schulter, dann hakte sie sich unter, und gemeinsam näherten sie sich dem Findelhaus.
Das Tor war verschlossen, aber Jutta hatte beim letzten Besuch entdeckt, dass sich die Mauer nicht um das ganze Gelände zog, sondern in einiger Entfernung von der Straße in einen Zaun überging. Allerdings lag der Abfallgraben dazwischen.
«Da durch?»
Weitere Kostenlose Bücher