Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
schöpfte tief Luft. «Ach, ich weiß es eigentlich auch nicht so genau. Die Welt, sie ist heute so grau und schlecht. Ich könnte immerzu weinen. Dabei hatte der Tag so schön begonnen.»
«Sprecht weiter, meine Liebe.»
Auf solche Art ermuntert, berichtete Hella von ihrem Besuch bei der Seifensiederin und endete schließlich bei dem weißen Streifen, der ihre Haut von der Hüfte bis zur Mitte des Oberschenkels verunzierte.
Minerva hörte ihr aufmerksam zu. «Ich mache Euch eine Salbe von Nachtkerzenöl. Die streicht Ihr über Schenkel und Bauch, auch über die Brüste, und nichts wird Eurer Haut geschehen, habt nur keine Angst.»
Hella nickte dankbar. Der Besuch bei Minerva tat ihr gut, brachte ihr flatterndes Inneres zur Ruhe.
«Und um die Stimmungsschwankungen sorgt Euch ebenfalls nicht. Ein Sud aus Baldrian und Johanniskraut wird Euch guttun. Ich fülle Euch ein Säckchen ab. Wartet hier, ich bin gleich zurück.»
Minerva strich ihr noch einmal über die Schulter und verschwand hinter einer Tür, die in den Anbau führte.
Hella entspannte sich, streckte die Beine und sah aus dem Fenster. Alles wird gut, dachte sie. Gerade wollte sie sich ausmalen, wie es wäre, eine Freundin wie Minerva zu haben, als sie draußen die Henkersfrau entdeckte, die auf dem Weg zur Kate war.
Hella spürte ein wenig Ärger in sich aufsteigen. Die Henkerin, die hatte ihr gerade noch gefehlt! Sie hatte gehofft, noch ein wenig mit Minerva plaudern zu können, aber nach einem Gespräch zu dritt stand ihr nicht der Sinn. Als die Henkersfrau näher kam, beobachtete Hella, dass sie sich ein bisschen merkwürdig verhielt. Sie blieb manchmal stehen, sah sich um, verbarg sich einmal sogar hinter einem Baum, als jemand ihren Weg kreuzte.
Gespannt beobachtete Hella ihr Näherkommen. Gleich wird sie anklopfen, dachte sie, doch die Henkersfrau mied die Tür und begab sich direkt zum Anbau. «Minerva? Minerva!», hörte Hella das Henkersweib rufen. Sie stand auf, trat ans Fenster, das einen Spalt offen stand.
«Was schreist du so?», hörte Hella die Stimme des Kräuterweibes. «Sei leise, ich habe Besuch.»
«Ja, ja», erwiderte das Henkersweib. «Aber es ist dringend. Der Meine kocht heute eine Leiche aus, und ich wollte wissen, ob du mir das Fett davon abkaufst? Und ob du auch etwas von dem Leichenwasser brauchst. Das kostet fast nichts.»
«Abkaufen?» Minerva lachte. «Hast du vergessen, wie viele Schulden du noch bei mir hast? Ich gebe dir die teuersten Mittel und frage nie, wann du sie mir bezahlst. Du kannst mit dem Leichenfett einen Teil deiner Schuld abtragen. Und vom Wasser nehme ich dir auch etwas ab. Kommen wir ins Geschäft?»
Die Henkersfrau, Hella sah es aus ihrer Fensterecke heraus, zog die Schultern nach oben. «Ich gebe dir so viel Leichenfett, wie du nur willst, aber gib du mir bitte noch etwas von deinem Öl.»
Minerva nickte. «Ich bin kein Unmensch, das weißt du. Bring mir, was du hast, und dann sehen wir weiter. Und vergiss nicht: kein Wort, zu keiner Menschenseele.»
Sie reichte der Henkersfrau die Hand. «Sagt, wann habt ihr die nächste Hinrichtung?»
Die Henkerin schüttelte den Kopf. «Im Winter ist nicht so viel zu tun. Die Leute bleiben zu Hause hinter dem Ofen, selbst die Mörder.»
«Und was ist mit den Selbstmördern?»
«Noch nicht. Aber ich denke, in den nächsten Tagen wird es wieder anfangen. Die dummen Mädchen, die sich in kalten Winternächten haben schwängern lassen, die werden sich jetzt, wenn ihnen der Bauch schwillt, reihenweise in den Main stürzen. So ist es in jedem Frühjahr.»
«Und der Deine, der steckt die Dirnen in ein Fass, nicht wahr?»
«Ja, so ist es vorgeschrieben.»
«Und dann?»
«Er macht das an dem Tag, an dem die toten Mädchen zu uns kommen. Er steckt sie ins Fass und verschließt den Deckel mit Pech. Am nächsten Tag bringt er das Fass im Morgengrauen zusammen mit dem Stöcker zur Mainbrücke und wirft es in den Fluss.»
Minerva schüttelte sich. «Ist es dir nicht unheimlich, mit einer Selbstmörderin in einem Fass unter deinem Schlafzimmerfenster?»
Die Henkersfrau sah erstaunt drein. «Aber nein! Wieso denn auch? Die Seelen der Unglücklichen sind längst im Fegefeuer, wenn sie zu uns kommen. Und vor faulem Fleisch ängstige ich mich wahrhaftig nicht. Mein Vater war Abdecker. Glaube mir, Minerva, wenn die Seele weggeflogen ist, dann sind nur noch Haut und Knochen übrig. Es gibt keinen Grund zur Angst.»
Minerva stieß einen Seufzer aus und sah dabei in
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