Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
Richtung Himmel. «Sie dauern mich, die armen Mädchen. Mit ihrem Leben bezahlen sie für ein bisschen Liebe und Wärme, während die Männer sich diese holen können, wann und wo immer sie wollen. Ich hoffe, der Herr ist ihren Seelen gnädig. Vergehst du nicht auch vor Mitleid mit den armen Dingern?»
Die Henkerin zuckte mit den Achseln. «Der Tod ist mein Broterwerb. Wenn ich um jede Leiche trauere, dann weine ich bald den ganzen Tag. Um die Lebenden müssen wir uns kümmern. Den Toten nützt unser Mitleid nichts mehr.»
Minerva nickte. «Recht hast du, Henkersweib. Also dann, bring mir das Fett. Aber komm in der Dunkelheit. Es ist besser, wenn niemand uns sieht. Du weißt ja, wie abergläubisch die Menschen sind. Und sonst halte Abstand zu mir. Ich habe dir schon einmal gesagt, dass es nicht gut wäre, wenn uns die Leute miteinander sähen.»
«Nicht in dieser, aber in der nächsten Nacht werde ich kommen», versprach die Henkerin. «Halte bis dahin das Öl für mich bereit.»
Hella sah, wie sich die Henkerin auf den Weg machte. Da fiel ihr mit einem Mal ein, dass die Henkersfrau von einer Nonne erzählt hatte, die bei Minerva war. Eine Nonne, die vermutlich aus dem Frauenhaus kam. Sie beschloss, die Kräuterfrau danach zu fragen.
Schnell nahm sie wieder in dem Armlehnstuhl Platz. Und nur einen Lidschlag später kam Minerva zurück in die Stube, in der Hand ein Leinensäckchen und ein Tiegelchen.
«Hier», sagte sie. «Aus dieser Mischung braut Euch einen Sud. Er wird Euch die gute Laune zurückbringen. Trinkt ihn am Abend, wenn Ihr nicht schlafen könnt, und trinkt ihn über den Tag, wenn Ihr schlechter Stimmung seid. Die Salbe aus Nachtkerzenöl streicht Euch am Morgen und am Abend auf die entsprechenden Stellen.»
Hella nahm dankbar die Mittel entgegen. «Und was ist, wenn das Nachtkerzenöl nicht hilft? Minerva, ich bin eine junge Frau. Mich graut, vor der Zeit wie ein altes Weib auszusehen. Habt Ihr noch andere Mittel für diesen Fall?»
Hella wusste nicht genau, warum sie fragte, denn eigentlich hatte sie nicht vor, sich den Rest ihres Lebens dem Erhalt ihrer Hautstraffheit zu widmen. Aber der Besuch der Henkerin und die Frage nach dem Leichenfett hatte etwas in ihr angestoßen, das sie noch nicht benennen konnte.
«Warten wir ab, bis es so weit ist», wiegelte Minerva ab. «Ich bin sicher, Ihr braucht nicht mehr als dieses Tiegelchen dort.»
Hella lächelte kläglich. «Aber wenn doch, Minerva? Wisst Ihr kein Mittel? Mir wäre wahrlich lieber, ich könnte sicher sein, dass Ihr mir im schlimmsten Fall helfen würdet.»
Minerva lächelte und warf ihr langes Haar nach hinten. «Es gibt viele Mittel und Wege. Vertraut mir, Bürgersfrau. Für jedes Problem gibt es eine Lösung in meinem Kräuterschrank.»
Hella nickte und lächelte. «Sagt, Minerva, kommen auch die Weiber aus dem Frauenhaus zu Euch?»
«Warum fragt Ihr?» Aus Minervas Stimme war die Leichtigkeit verschwunden.
«Aus keinem bestimmten Grund», erwiderte sie vage. «Es ist nur so, dass es eben auch Frauen sind. Frauen wie wir. Manchmal danke ich Gott, dass er mein Schicksal in eine andere Richtung gelenkt hat. Und oft dauern mich die Frauen.»
Minerva entspannte sich. «Ja, sie kommen zu mir. Zwar kümmert sich auch der Stadtarzt, denn das Hurenhaus ist ja der Stadt unterstellt, aber der hat weder Zeit noch Geduld für die Sorgen und Nöte der Frauen. Und wenn sie Probleme haben, die eben nur Weiber haben können, dann kommen sie zu mir.»
«In der Stadt spricht man von einer, die dort wie eine Nonne herumläuft. Ist das nicht merkwürdig?»
Minerva lachte. «Da könnt Ihr mal sehen, wie die Männer sind. Noch nicht einmal im Bett können sie von ihrer scheinheiligen Frömmigkeit lassen.»
«So seht Ihr das?»
«Ja. So sehe ich das. Ich habe viel erlebt, und mein Vertrauen in andere Menschen hat dabei gelitten.»
Hella horchte auf. «Habt Ihr Lust, mir davon zu erzählen?»
«Nicht heute. Ein anderes Mal bestimmt.»
«Und die Nonne? Ist an dem, was man sich auf dem Markt erzählt, etwas Wahres dran? Kennt Ihr sie?»
Zu Hellas großer Verwunderung nickte Minerva. «Ja, ich kenne sie. Zweimal war sie bei mir. Sie trug etwas Böses in sich und brauchte dies und das.»
«Das Böse? Was heißt denn das? Und wo ist sie jetzt?», wollte Hella wissen.
«Ich weiß es nicht sicher. Kann sein, dass sie die Franzosenkrankheit in sich trug. Kann sogar sein, dass ihr kein langes Leben mehr beschieden war», antwortete Minerva. «Sie war
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