Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
so elend. Heinz muss dafür sorgen, dass er aus dem Verlies kommt. Es ist so feucht und kalt dort. Er wird sterben, wenn er nicht bald Wärme und Pflege bekommt.»
Gustelies ließ sich seufzend auf eine Holzbank sinken. Sie nickte, und Hella sah in ihrem Gesicht, dass sie Angst um ihren Bruder hatte. «Ich weiß, wie es um ihn steht. Heute, ganz in der Frühe, habe ich dem Wärter Geld gegeben, damit er ihm ein Kohlebecken ins Verlies stellt.»
«Geld? Ich dachte, Mutter, du hättest es gerade nicht so üppig.»
Gustelies’ Augen füllten sich mit Tränen. «Das Geld hatte ich gespart. Euer Kind sollte es bekommen. Für eine gute Ausbildung. Jetzt hat Pater Nau eine Matratze und ein Kohlebecken dafür bekommen. Und natürlich das Arme-Sünder-Schmalz.»
Hella schluckte, strich ihrer Mutter tröstend über den Rücken. «Du brauchst kein Geld für unser Kind zu sparen», sagte sie leise. «Es wird ihm an nichts mangeln. Onkel Bernhard braucht es nötiger. Und auch wir werden unser Scherflein beitragen. Darauf kannst du dich verlassen.»
«Ja, ich weiß, und dafür bin ich dem Herrgott auch sehr dankbar. Aber trotzdem muss er raus aus diesem feuchten Loch.»
Die beiden sahen sich in stillem Einverständnis an, dann klopfte Hella an die Amtsstubentür ihres Mannes.
Heinz Blettner saß hinter seinem Schreibtisch, vor sich die Gerichtsbücher.
Der Schreiber stand gelangweilt an seinem Pult und studierte die Handwerkerrolle der Weber.
«Oh, hoher Besuch», stellte Heinz fest. «Meine Schwiegermutter hat eine Magd mitgebracht.» Er stand auf und küsste seine Frau auf die Stirn. «Hat dein seltsamer Aufzug einen Grund?», fragte er.
Eigentlich hatte Hella an dieser Stelle ein neues Kleid herausschlagen wollen, doch nun überlegte sie es sich anders. «Ich passe nicht mehr in meine Sachen», erklärte sie. «Ein neues Kleid kostet Geld. Viel Geld, mein Herz, das weißt du. Und weil du stets bestrebt bist, zu sparen, so werde ich dir dabei helfen. Ich verzichte auf das Kleid und leihe mir nachher ein paar Sachen von Jutta Hinterer, dafür holst du den Pater aus dem Verlies. Sonst gehen unsere sämtlichen Ersparnisse noch für die Bestechung des Wärters drauf.»
Gustelies hatte sich auf einen Lehnstuhl neben der Tür fallen lassen, den Weidenkorb auf ihrem Schoss. «Es geht zu Ende mit ihm, wenn er nicht bald da rauskommt», jammerte sie.
Der Schreiber lauschte aufmerksam, und Richter Blettner bemerkte es. «Schreiber, hast du nichts zu tun?», fragte er. «Hast du alles über die Weber herausgefunden? Weißt du, wer die höchsten Abgaben an die Stadt abführt? Hast du herausgefunden, wer wenig zahlt, aber einen üppigen Lebenswandel führt?»
Der Schreiber schluckte. «Ja, Herr. Da gibt es einen, der wohnt sogar in der Webergasse. Er hat eine Baugenehmigung beantragt für ein neues Haus, aber nach seinen Steuern zu urteilen, nagt er am Hungertuch.»
«Nun, dann geh und sieh dich in seiner Werkstatt um. Sag, du bist von mir geschickt, die Baugenehmigung zu prüfen. Sprich nicht über irgendwelche anderen Verdachtsgeschichten, und vor allem schweige über das Findelhaus. Lobe dagegen seine Arbeit und tu ihm schön. Vielleicht ist er eitel genug, um sich zu verraten.»
Der Schreiber nickte und trollte sich.
Gustelies sah ihm zufrieden nach. «Kümmerst du dich endlich um die Kinder aus dem Findelhaus?», fragte sie.
«Wir brauchen zuerst Beweise, bevor wir etwas unternehmen können», erklärte Heinz. «Aber so, wie es aussieht, werden die Findlinge bald von ihrem Elend erlöst. Vater Raphael hockt im Verlies. Leider schweigt er wie ein Grab. Aber wenn wir ihm dem Weber gegenüberstellen, wird er schon reden. Dann brauchen wir nur noch jemanden, der sich um die Kinder kümmert.»
«Ich glaube, ich wüsste da jemanden», fiel ihm Gustelies ins Wort. «Wie wäre es mit Klärchen Gaube? Sie ist eine hervorragende Köchin. Man nennt sie auch nicht umsonst die gute Haut.»
Heinz und Hella starrten Gustelies mit offenem Mund an. «Willst du Klärchen wegloben, damit du ganz sicher den nächsten Kuchenwettbewerb gewinnst?», fragte Hella und schüttelte den Kopf über so viel Berechnung.
«Nein, auch wenn du es mir nicht glaubst, ich meine das ernst und handle aus purer Nächstenliebe.»
Heinz unterbrach das aufkommende Wortgefecht mit einer Handbewegung. «Darüber reden wir, wenn die Zeit reif ist. Jetzt haben wir anderes zu tun.»
«Genau. Der Pater muss noch heute aus dem Verlies. Du weißt selbst, dass er
Weitere Kostenlose Bücher