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Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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überwinden mußte. Morotzkij allein konnte das nicht, er konnte nur vor Wut brüllen, wenn Nadeshna ihm alles erzählt hatte.
    »Das ist eine Festung!« sagte Putkin zu sich selbst und spürte plötzlich, daß es die Angst war, die ihn zu Selbstgesprächen führte. »Dieses Haus ist ein Kreml. Kommt her und erobert es!« Er legte das Kinn auf die obere Balkenschicht, in jeder Hand einen großen Stein, und sah Morotzkij zu, der vergnügt mit seiner Maruta aus dem Wald kam.
    »Igor Fillipowitsch!« rief er, als er Putkins struppigen Kopf über der Hauswand sah. »Ich habe gewonnen! Maruta geht herum wie ein Hündchen. Sehen Sie sich das an!« Er hinkte voraus, ließ plötzlich den Lederriemen los, mit dem er Maruta geführt hatte, und die Elchkuh trottete ihm nach, selbst als Morotzkij sein lockendes ›rouh-rouh‹ einstellte. Die Dressur war vollkommen.
    »Ein Geschöpf ohne Hirn … wie alle Weiber!« schrie Putkin zu ihm hinüber. »Gut, Sie haben die Wette gewonnen, Semjon Pawlowitsch! Stecken Sie sich Ihren Stolz an die Mütze wie eine Feder!«
    In zehn Minuten wird er herumrennen und die Sonne anheulen, dachte Putkin und stützte das Kinn wieder auf die Holzstämme. Jetzt bringt er Maruta erst in das Gehege, dann wird er nach seiner Nadeshenka schreien, aber sie wird nicht aus dem Haus kommen, wie sollte sie auch, das zierliche, blonde, engelsgleiche, raffinierte geile Aas, und er wird hineingehen, sofort erkennen, was los gewesen ist – wozu ist er Verhaltensforscher – und dann wieder heraushinken und zu mir herüber brüllen. Von da ab wird die Belagerung losgehen …
    Putkin wurde es heiß. Er schob die dicke Wolfspelzmütze in den Nacken und schluckte den Speichel laut hinunter, der sich in seinem Mund ansammelte.
    Wird die Susskaja schießen? dachte er. Natürlich wird sie … sie ist eine Höllengeburt. Wenn jemand gnadenlos ist, dann ist es Jekaterina Alexandrowna. So eine kann Lagerärztin sein, in Workuta, Karaganda oder Magadan, die personifizierte Todesnachricht, die jeden Morgen die sich krank Meldenden mit der Peitsche aus dem Lazarett treiben läßt und ›arbeitsfähig‹ sagt. Mit ruhiger Stimme und einem Lächeln auf den vollen Lippen, hingegeben, dem Genuß, mit einem Wort das Grauen herbeizurufen. So eine ist sie, wahrhaftig … Ist das ihr großes Geheimnis? Ärztin in einem Straflager?
    Putkin wischte sich über das vereiste Gesicht. Daß man daran noch nicht gedacht hat, sagte er sich. Sie schleppt die Schuld von Tausenden ›Toter Seelen‹ mit sich herum, und sie wird nicht zögern, auch einen Putkin zu erledigen, breitbeinig im Schnee stehend, zielend wie auf einem Schießstand. Und sie kann schießen, das hatte sie oft genug bewiesen.
    Morotzkij hatte seine Maruta in das Knüppelgehege geführt, gab ihr jetzt einen Kuß auf die dicken Nüstern und humpelte mit seinem verkürzten Bein hinüber zu Andrejs Hütte.
    Wie erwartet rief er: »Nadeshna! Nadeshenka! Mein Liebling! Komm heraus, sieh dir das an … Maruta ist zahm wie ein Hirtenhund!«
    Die Tür blieb zu. Morotzkij nahm die Fellmütze von seinem schmalen, dürren Kopf und blickte hinüber zu Putkin. Die kalte, aber ungemein strahlende und durch den Schnee blendende Sonne umrandete Morotzkijs Haupt wie mit einem glitzernden Rahmen.
    »Wo ist sie?« rief er.
    »Im Haus!« rief Putkin zurück. »Gehen Sie hinein, Semjon Pawlowitsch. Aber übereilen Sie nichts …«
    Das war eine rätselhafte Bemerkung. Morotzkij zuckte mit den Schultern, schüttelte den Schnee von seinen Stiefeln und betrat das Blockhaus.
    Jetzt, dachte Putkin. Zählen wir ganz langsam bis zwanzig … dann muß Morotzkij brüllend wieder in der Tür erscheinen.
    Er legte die Steine auf die Balken, griff nach der Axt und atmete tief ein. Sein Körper glühte von innen. Schweiß rann an ihm herunter, als wäre er in heiße Tücher gewickelt.
    Eins – zwei – drei –
    Bei zehn sah er Andreas und die Susskaja zurückkommen. Sie hatten einen Weißfuchs und drei Schneehühner bei sich; Andrej trug sie aufgereiht an einer Schnur über dem Rücken. Die Susskaja hatte das Gewehr in der Armbeuge liegen und ging voraus, mit kräftigen Schritten, den Pelzmantel offen, die langen schwarzen Haare quollen unter der Fellmütze über die Schultern … ein Weib, um das sich Gott und der Satan bekriegen konnten.
    Putkin hörte mit dem Zählen auf und betrachtete die Susskaja wie ein Delinquent, dem sich sein Henker vorstellt. Vielleicht kann man noch verhandeln, dachte Putkin.

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