Die Verdammten der Taiga
Aber sie muß erst den Mantel aufreißen und anlegen. Sie ist zu weit für mich entfernt. Aufspringen und sie überwältigen, dazu reicht's nicht mehr.
Nadeshnas Hand war ihm noch immer entgegengestreckt, und das war etwas, was ihn verwirrte. »Ihr Heuchler –«, sagte er heiser. »Ihr ekelhaften Heuchler!«
»Warum sollen sie heucheln?« Nadeshna kam unbefangen näher, Putkin hielt wieder den Atem an. Jetzt trat sie in seine Sprungnähe, jetzt konnte er sie erreichen – wenn sie nun unter den Mantel griff, hatte sie verloren. Er spannte jeden Muskel in sich und wartete, den Blick fest auf ihr Gesicht geheftet. Ihre Augen werden sie verraten, dachte er. Jede Tat wird erst mit den Augen signalisiert.
Aber Nadeshnas Augen blieben groß und klar.
»Komm –«, sagte sie.
»Was hast du den anderen erzählt?« Putkin rang an diesen Worten, als habe er keine Zunge mehr. Der Schweiß brannte in seiner Nasenwunde. Nadeshnas Biß.
»Nichts –«
»Du hast ihnen nichts erzählt?«
»Nein.«
»Sie sollen mich nicht töten?«
»Brauche ich sie dazu?« Sie stand vor ihm, winzig fast gegen das riesige Pelzbündel Putkin. »Igor Fillipowitsch, ich werde es allein tun, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Willst du jetzt meinen Braten essen?«
Putkin nickte, warf die Axt weg und trottete Nadeshna voraus zur Hütte. Sie hat ihnen nichts gesagt, dachte er dabei und schwankte wie ein Betrunkener. Sie haben keine Ahnung. Warum hat sie nichts gesagt, warum? Ist es möglich, daß sie mich liebt? Mein Gott – verdammt ja, ich nenne deinen Namen – gibt es so etwas? Nadeshna Iwanowna liebt einen Putkin?
Er trat ins Haus, die heiße Luft schlug ihm entgegen und der köstliche Duft des gebratenen Fleisches. Er warf seinen Pelz ab, setzte sich an den Tisch und streckte die dicken Beine aus. Die anderen starrten auf seine Nase, von der der Lappen abfiel … sie war mächtig geschwollen, und die Bißwunde glänzte bläulich.
»Nageln Sie neuerdings mit der Nase?« fragte Morotzkij witzig.
Und als sie alle lachten, lachte Putkin mit, schielte hinüber zu Nadeshna, griff sich das größte Stück Fleisch und biß hinein, daß ihm der Bratensaft durch den Bart rann.
XXIV.
Die Suche nach General Serikow gestaltete sich zu einer Groteske.
Wie eine dicke, kahlköpfige Spinne hockte Oberst Bubnow im Hauptquartier von Irkutsk, und selbst General Lagutin, der provisorisch Serikows Befehlsbereich übernommen hatte, wagte es nicht, unnötig in das überheizte Zimmer zu treten und den häßlichen Giftzwerg anzusprechen. Manchmal aber war das nötig, nämlich immer dann, wenn die Suchflieger zurückkamen und man schon an ihren Gesichtern ablesen konnte, was sie mitbrachten: nichts!
»Wir sind enttäuscht«, sagte Bubnow dann mit seiner teuflisch ruhigen Stimme. »Wir sind sehr enttäuscht!«
Wir … das bedeutete: das KGB! Und wenn das KGB enttäuscht ist, bedeutet das wiederum, daß Moskaus Auge sehr kritisch auf die Garnison Irkutsk blickt. Die Folge würde sein: Verschärfte Inspektionen, Kontrollen aller Offiziere, Beförderungssperren, Einsetzen neuer und schärferer politischer Schulungsleiter, kurzum ein Dienst, der nicht mehr die Freude machte wie bisher.
Aber auch Bubnows Enttäuschung half nicht weiter … General Serikow blieb in der Weite der Taiga verschwunden. Die Radarstationen verzeichneten kein unbekanntes Flugobjekt, weil Serikow so niedrig über die Waldgipfel huschte, daß ihn kein Radar erfassen konnte. An der Absturzstelle der Maschine aus Suchana zu suchen, kam keinem in den Sinn. Es wäre auch zu unlogisch gewesen. Was wollte Serikow im Norden? In der eisigen, tief verschneiten Einsamkeit?
Bubnow faßte in einigen Leitsätzen zusammen: »Versetzen wir uns in die Lage von Waska Janisowitsch. Es ist nervenleidend, man hat ihn hier behandelt, er geht in eine wohlverdiente Pension, mit allen Ehren, schließlich war er ein Held, Genossen, das wollen wir anerkennen. Aber er fühlt sich unverstanden, seine Nerven diktieren ihm Dinge außerhalb der Vernunft. Wer auf Fotos schießt, nur weil sie einen Deutschen zeigen … man kann einen kranken Menschen nicht verurteilen, man muß ihn behandeln. Aber welcher Nervenkranke sieht das ein? Also flüchtet er. Wohin? Dort, wo er meint, in die Freiheit zu kommen. Das ist nur der Süden. Das sind China, Afghanistan und der Iran. Für die beiden letzteren reicht aber das Benzin nicht … und nach China? Genossen, ich traue dem General Serikow trotz seiner schwachen Nerven eine
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