Die Verdammten der Taiga
– Andrej, ist das ein Leben? Wollt ihr so die Jahre wegschmeißen?« Putkin dehnte sich, und es sah aus, als könne er sich um das Doppelte aufblasen. »Aber hier, die Taiga. Sieh sie dir an, Brüderchen! Eine Geliebte, die du zu jeder Zeit besitzen kannst. Und sie gibt, gibt und gibt, sie ist unerschöpflich. Sie verlangt nur eins: Kraft! Andrej, sind wir nicht zwei kräftige Burschen?«
»Wie lange noch, Igor Fillipowitsch?«
»Solange wir aufrecht stehen können.«
»Eine Blinddarmentzündung, eine Lungenentzündung, eine lächerliche Krankheit, die außerhalb dieses Waldes mit ein paar Tabletten zu kurieren wäre, degradiert uns zu einem Häufchen Dreck.« Er trat nahe an den Fluß. Die Löcher, in denen sie fischten, sahen wie aufgebrochene Geschwüre auf einer weißen Haut aus. »Wenn wir in der Nähe von Menschen wären … wenn wir im Notfall die Möglichkeit hätten …«
»Hier andere Menschen! Bei diesem Gold? Das wäre eine Beschäftigung für einen Massenmörder, und er käme dabei ins Schwitzen. Andrej –« Putkin warf die Zigarette auf den vereisten Fluß. »Überlegt es euch. Ich bleibe hier, und ich krümme nicht mehr eine Fingerkuppe, um euch zu helfen, hier wegzukommen. Versucht es allein.«
In der Nacht lagen Katja und Andreas auf dem warmen Ofen und hörten den Wind um das Haus singen. Der Schnee trieb über den Fluß und häufte sich an der Hauswand empor. Nebenan träumte Morotzkij an Nadeshnas Seite, rief unverständliche Worte und wurde erst ruhig, als Nadeshna ihm den Traum wegküßte. Putkin schnarchte wie immer mit weit offenem Mund. Er lag auf einem Berg von Fellmänteln vor dem Ofen auf der Erde, ein Koloß aus Muskeln und Knochen, neben sich – wie ein Kind sein Lieblingsspielzeug mit ins Bett nimmt – eine Tonschale, gefüllt mit den glitzernden Goldkörnern.
»Im Frühjahr ziehen wir weiter –«, sagte Andreas und streichelte Katjas Brüste. Ihr nackter Leib war etwas angewinkelt, und ihr rechtes Bein hatte sich über Andreas' Hüfte geschoben.
»Vielleicht –«, sagte sie. »Vielleicht, Andruscha. Der Frühling ist noch so weit. Der Winter hat ja noch gar nicht richtig begonnen.«
Die Taiga bog sich unter dem Wind. Die gefrorenen Stämme ächzten, als seien es Tausende von Geschlagenen, die unter Peitschenhieben durch den Schnee zogen. Das Holzhaus knarrte; durch einige Fugen, die man vergessen hatte, mit Gras und Moos auszustopfen, trieb der pulverfeine Schnee ins Innere, als blase jemand Mehl in die Räume. Aber das Haus hielt stand. Es war ein gutes, massives Haus aus dicken Rundstämmen. Und auch das Dach hielt stand, obgleich auch hier dünne Schneefäden hindurchrieselten und auf dem Boden kleine Haufen bildeten, die in der Wärme schnell zu Pfützen schmolzen.
»Putkin will eine Goldwaschmaschine bauen«, sagte Andreas und kämmte mit gespreizten Händen Katjas lange, schwarze Haare aus ihrem Gesicht. »Mit Wasserkraft.«
»Zuzutrauen ist ihm alles.« Sie legte die Hände flach gegen seine Brust, und die Wärme ihrer Finger, die rätselhafte Elektrizität in ihren Fingerspitzen sprang auf ihn über. »Willst du ihm dabei helfen?«
»Ich weiß es nicht.« Andreas starrte gegen die nahe Decke. Über ihm heulte der Wind. Es war wunderbar, jetzt auf einem warmen Ofen zu liegen und Katja an sich zu spüren. »Ich habe schon eine Idee –«, sagte er schläfrig.
Vier Tage mußte man im Haus bleiben, so lange tobte draußen der Sturm.
Putkin versuchte zwar, hinauszugehen, aber er kam schnell wieder zurück, mit Schnee überzogen und einem vereisten Gesicht, fluchte mit Ausdrücken, die keiner niederschreiben kann, und wärmte sich am Ofen wieder auf.
Vier Tage zusammen auf engstem Raum, um den Ofen hockend und gezwungen, sich immer anzusehen … wer hält das aus? Vor allem Nadeshna fiel Putkin auf die Nerven: Sie hatte ihr Talent für Schnitzen entdeckt, nachdem die Malerei mit der Maria und ihren ungleichen Brüsten einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte. Jetzt saß sie am Ofen, hatte ein Stück Holz zwischen die Knie geklemmt und schnitzte daran herum. Der Form nach mußte es einmal eine menschliche Gestalt werden.
»Was wird das, mein Täubchen?« fragte Putkin noch zahm am zweiten Tag der Gefangenschaft. »Sitzt da mit einem Stück Holz zwischen den Beinen. Na na … läßt sich für diesen Ort nichts Besseres finden?« Das war schon ein Angriff, aber da man Putkin jetzt gut genug kannte, überhörte man es.
»Josef –«, sagte Nadeshna
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