Die Verfolgerin - Roman
setzt oder stoppt.
Ich fahre direkt zu Tills Haus. Till hat eine Isomatte im künftigen Wohnzimmer ausgebreitet. Von dort können wir durch die Terrassentür auf den im Mondlicht glitzernden Schnee sehen. Licht gibt es im Haus keines. Ich habe unterwegs für ein Picknick eingekauft. Ich stelle den Korb mit Salami, Lachs, Baguette, Käse, Weintrauben und Wein neben die Isomatte. Till legt seinen Finger auf den Mund. Er ruft seine Frau an. Till hat sechs Kinder und zwei Hunde. Er sagt seiner Frau, dass er angekommen sei und heute Abend am Haus nichts mehr mache, zu dunkel. Kein Licht. Ein Defekt in der Leitung, die Sicherung sei raus. Er sei müde, trinke noch ein Bier und lege sich gleich schlafen. Er fragt nach den Kindern, hört ihr zu und sagt dann, dass er jetzt das Handy ausschalte und sich morgen früh wieder melden werde. Ich konzentriere mich beim Sex auf Tills Bewegungen und seine Handgriffe. Seine Hand huscht über meine Haut, meinen Bauch, zwischen meine Beine. Ich bin nicht rasiert. Das störe ihn nicht. Seine Frau rasiere sich auch nicht. Er will schnell bei mir Lust erzeugen. Er ist unsicher. Er weiss nicht, ob es mir Spass macht. Mir macht es keinen Spass. Jemand hat Spass an meinem Körper. Er macht es zwei Mal. Ich weiss nicht warum. Ich denke, dass er genug Sex mit seiner Ehefrau haben müsste, wenn er sechs Kinder hat.
Ich schneide etwas von der Salami ab, breche das Baguette. Till isst nichts. Till ist dick. Tills Gesicht ist angefüllt mit Fett wie die Lippen einer Frau mit Botox. Die Spuren von Empfindungen in seinem Gesicht sind vom Fett verwischt. Sein Mund ist immer leicht geöffnet. Und aus seinen Augen sprüht helles Licht. Seine Augen sind klein und schwarz und wachsam. Es ist als saugten seine Augen alles auf, wie ich mich bewege, jede Veränderung in meinem Gesicht, jeden Gedanken, der sich irgendwie in meinem Gesicht, in meinen Augen zeigt. Till trinkt mehrere Gläser Rotwein. Dabei visiert er mich, wie eine Kamera, die jeder Bewegung im Raum folgt. Er will spazieren gehen. Es ist halb zwei Uhr nachts. Die Strassen sind mit einer Eisschicht überzogen. Ich muss mich an ihm festhalten, um nicht hinzufallen. Till sagt, dass alles, was in der Welt existiert, irgendwann einmal von Künstlern, Philosophen oder Schriftstellern als Idee in die Welt kam. Und dass das, was heute Künstler, Philosophen, vielleicht auch Wissenschaftler und Visionäre an Ideen haben, in den nächsten Jahren, Jahrzehnten, Jahrhunderten, vielleicht auch Jahrtausenden tatsächlich umgesetzt wird. Er bleibt stehen und schnäuzt sich. Wir stehen wackelig auf dem dünnen Eis. Ich frage Till, ob er jemanden kenne, der mir in einen Stock, wie ihn Nordic Walker benutzen, eine Spritze einbauen und kleine Kügelchen aus Platin herstellen könnte, die innen hohl sind. So etwas machen beim Film Requisiteure. Das heisst, die kennen solche Leute, die so etwas basteln können, sagt Till. Ich frage ihn, ob er jemanden wisse, der mir weiterhelfen könne. Er werde mir eine Mail schicken mit der Adresse, sagt Till. Ich betrete nicht noch einmal sein Haus, sondern fahre zu mir nach Hause. Die Strassen sind mit Salz bestreut. Ich frage mich, welchen Ausdruck sein Gesicht hätte, wenn man das Fett ablassen würde. In seinem Gesicht zucken um den Mund Linien. Ich denke an Risse im Eis eines zugefrorenen Sees. Spannungsrisse. Ich versuche mich an Fotos von ihm zu erinnern, die in den Zeitungen zu sehen waren, als er seine ersten Filme vorführte. Er war damals deutlich schlanker. Seine Augen sprühten ebenfalls Licht wie von einem Feuer. Er wirkte enttäuscht, etwas Lauerndes spielte um seine Augen und seinen Mund. Ich komme Viertel nach zwei Uhr nach Hause. Der Ehemann liegt im Bett und dreht sich kurz zu mir um, als ich unter die Bettdecke schlüpfe. Ich sage, dass ich kurzentschlossen noch bei einer Weihnachtsfeier vorbeigeschaut habe. Bei der Goldmann. Er dreht sich wieder um und schläft weiter. Ich lasse mein Leselicht an und lese die Biografie von Camus. Der Ehemann neben mir seufzt und schlägt die Bettdecke zurück. Er sagt, er schlafe oben, das Licht störe ihn. Ich sage, er solle hier bleiben in seinem warmen Bett, ich würde ins Gästezimmer gehen. Ich merke, dass ich vor mich hinlächle auf dem Weg ins Gästezimmer. Ich mag den warmen Vanillegeruch des Mannes nicht mehr. Im Gästezimmer öffne ich das Fenster. Es riecht nach Schnee, und draussen wird es bereits lauter.
14
Nachmittag. Es ist dämmrig. Eine dicke Schneedecke
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