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Die Verfolgerin - Roman

Die Verfolgerin - Roman

Titel: Die Verfolgerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: edition 8
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wir verdrängen. Diese Empfindungen seien aber immer anwesend. Materialisiert in Handlungen, in der Architektur, in dem, wie wir uns kleiden, sprechen. Hinter jedem Ausdruck verstecke sich eine Empfindung. Künstler machten die sichtbar, in der Malerei, mit Installationen, im Schauspiel, Film. Deshalb verstehe der Hausherr seine Sammlung von Giften als Kunstwerk, eine Art Installation, und so präsentiere er sie. Er plane eine Ausstellung von Gegenständen, auf die wir starke Empfindungen projizieren, die uns Angst machen oder uns anziehen, Sehnsüchte wecken.
    Der Giftschrank gehöre dazu. Frau Poulaki nimmt ein Fläschchen in die Hand. Reines Rizin, sagt sie. Ich frage sie, ob sie nicht ein Kunstwerk zerstöre, wenn sie eine Flasche entnehme. Sie legt das Fläschchen in eine Schachtel aus weiss lasiertem Holz, der Deckel ist satiniertes Glas auf dem ein graues Steinchen eingelassen ist. Sie nennt mir eine Summe im fünfstelligen Bereich. Ich reiche ihr einen Beutel aus Filz. In dem befinden sich die Scheine. Alles Zweihunderter. Ich frage sie, wann und wo die Installation des Künstlers zu sehen sein werde. Vermutlich in der freien Natur. Es laufen gerade Verhandlungen mit verschiedenen Kantonen. Sie zeigt auf die quadratischen Lederhocker unter den Fenstern. Ich könne Platz nehmen und den Raum noch etwas auf mich wirken lassen. Sie sei gleich zurück. Ich frage, woher ich denn wissen könne, dass es sich tatsächlich um Rizin in dem Fläschchen handle. Probieren Sie es einfach aus, meint Frau Poulaki.
    Von der Villa ist es nicht weit zum Friedhof Fluntern. Ich habe das Kästchen mit Rizin in meine Manteltasche gesteckt und spaziere entlang der Gräber. Ich stehe vor dem Grab von Joyce und Canetti. Ich wusste nicht, dass die beiden in Zürich gestorben sind.

13
    Till ruft an. Wir haben manchmal Sex zusammen. Im Wald, in einem verlassenen Schuppen, auf einem Bootssteg. Wie es dazu kam, weiss ich nicht mehr genau. Ich habe mal über ihn geschrieben, einen Beitrag für eine Kulturbeilage. Nach dem Interview lud Till mich auf ein Bier ein. In seine Lieblingswirtschaft ein paar Kilometer weiter. Unterwegs hielt er an. Auf einem Waldweg. Er fragte mich, ob ich es schon mal im Wald gemacht hätte. Ich sagte nein. Gut, magst du?, fragte er. Wir stiegen aus und gingen ein Stück in den Wald, vielleicht war es auch ein Park. Dann breitete Till seinen Mantel auf dem Schnee aus und legte sich darauf. Er sagte, dass es für mich wärmer wäre, wenn ich mich auf ihn setze. Till ist Regisseur. Er dreht Kurzfilme, Spielfilme, Dokumentationen. Für einen dokumentarischen Spielfilm erhielt er Geld aus der Filmförderung und dann vor ein paar Tagen einen Preis. Ich habe es in der Zeitung gelesen. Vielleicht ruft er deshalb an. Till ruft mich an, weil wir in seinem Haus am Abend Sex haben können. Ich sei auf dem Rückweg von Zürich und fahre gerade durch Bregenz, vorbei am Kunsthaus, erkläre ich Till. Der sagt, dass im Kunsthaus Tony Oursler ausstelle, ein amerikanischer Videokünstler, der sich mit dem Einfluss der Massenmedien auf die menschliche Psyche beschäftige. Ich solle mir das ansehen, seine Figuren, die er auf Kopfkissen projiziere, und mir ihre apokalyptischen Klagen anhören. Ich sage Till, dass ich auf meinem Rücksitz in einer Schachtel ein Fläschchen mit fünfundzwanzig Milliliter Rizin hätte. Auch ein Kunstwerk, soeben in Zürich erworben. Till sagt, dass ich es bis zum Abend schaffen könne, bei ihm zu sein. Das Haus sei noch nicht fertig, aber auch kein Rohbau mehr. Es habe Türen und Fenster und eine Heizung. Die Farben an den Wänden seien noch feucht. Das Haus befinde sich in Sufferloh, einem Weiler mit einem Keltenhügel südlich von München. Ich schaue mir die Ausstellung von Tony Oursler an. Lärm auf drei Stockwerken. Videoinstallationen. Ein türkis lackierter Fingernagel, der im Sekundenrhythmus auf einer Tastatur die Delete-Taste drückt. Hausfrauen, die ein Lied nachsingen und dastehen wie kleine Mädchen – verschämt, auf einem Bein, den Kopf erhoben. Der nächste Film: Vier Männer als Frauen verkleidet, die sich selbst auf einer Bühne in Szene setzen. Andere Wand. Anderer Film. Eine Palmolivflasche, die die Wand entlang fährt und die jemand mit der Hand umschliesst, fest drückt, sodass aus dem Verschluss das orange Spülmittel herausquillt. In jeder Etage ein Filmausschnitt, auf dem jemand einen Schalter drückt – einen Lichtschalter, einen Geräteschalter – und das Szenario in Gang

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