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Die Verfolgerin - Roman

Die Verfolgerin - Roman

Titel: Die Verfolgerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: edition 8
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könnte mich nie in einen Japaner verlieben. Ich öffne die Notizendatei in meinem Smartphone und schreibe: Auch wir sind Königskinder. Der Mann hat sich erst leer gemacht und dann verschlossen. Vielleicht konnte er deshalb Herzchirurg werden. Dann hat er das Beste daraus gemacht. Und ich? Ich weiss nicht, was das Beste für mich ist.
    Der Japaner verbeugt sich und nimmt seine Kameratasche vom Tisch. Er deutet mir, dass er mich fotografieren will. Ich schnappe mir mit dem rechten Zeige- und Mittelfinger ein Stück Schokoladentartar und halte es so, wie Japaner mit Stäbchen essen würden, und öffne meinen Mund so lange, bis der Japaner eine Serie von fünf Fotos fotografiert hat. Hinter ihm stehen die anderen aus der Reisegruppe und schauen zu. Als sie verschwunden sind, folge ich wieder meinen inneren Bildern. Ich stelle mir vor, wie nach der Oper Celine den Ehemann zu einem Taxi führt. Sie fahren nach Schwabing in ein französisches Restaurant. Ich stelle mir vor, wie er beim Dinner Celine gegenübersitzt und sagt, dass er jetzt gar nicht wisse, was er sagen solle, und Celine ihm auf Französisch eine Menüfolge zusammenstellt. Tsarskaya, fine de claire Austern, Medaille d`Or, Soupe du marché du jour, Poulet de Bresse, als Beilage Gratin dauphinois und Crème brûlée zur Nachspeise. Celine wird Champagner bestellen und mit dem Ehemann trinken, noch bevor das Essen kommt, damit er locker wird. Das habe ich ihr vorgeschlagen. Vor achtzehn Jahren, als ich den ersten Abend mit dem Mann verbrachte, hatte er für mich die Speisen ausgewählt. In einer bayerischen Wirtschaft. Der erste warme Sommertag im Frühling. Er hatte mich in der Mittagspause mit an einen See genommen. Einen Moorsee in den Bergen, mit Moorwiesen und Schilf am Ufer, Bootsstegen, die in den See führten. Das Wasser des Sees schimmerte rostrot. Im See spiegelten sich Himmel und Sonne und am anderen Ufer läuteten die Glocken der Klosterkirche. Ein paar Leute spazierten am Ufer. Er stieg vom Steg über eine Leiter ins Wasser, tauchte unter und schwamm hinaus. Später lud er mich ein zu einer echten bayerischen Brotzeit, wie er sagte. Die wirst du mögen. Wir waren die einzigen Gäste in der Wirtschaft, in der Gaststube war es dunkel, die Wirtin reichte uns die Brotzeitkarte. Es stand nicht viel auf der Karte. Zwei Paar Wiener mit Kartoffelsalat oder Brot. Debreziner mit Brot. Beides wegen der darin enthaltenen Konservierungsstoffe nicht essbar, erklärte der Mann. Er bestellte für sich einen Obatzten und für mich einen roten und einen weissen Presssack. Ganz was Gutes, da wirst du staunen, sagte er. Er betonte die Worte wie ein Märchenerzähler. Das tat er immer, wenn er von den Bergen, dem grossen und kleinen Thraiten, der Rotwand, dem Miesing, dem Wendelstein, den Almen und der Sennerin Babette, dem Soinsee und der Quelle im Ursprungtal, dem roten und weissen Presssack, dem Weissbier und dem Obatzten redete. Der Ton seiner Stimme verwandelte alles, wovon er sprach, und verlieh den Dingen einen zauberhaften Glanz. Es schien etwas Besonderes zu sein, wenn man mitgehen durfte auf den Miesing, wenn man schwimmen durfte im rostroten Wasser des Kirchsees. Den roten Presssack ass ich, sehr langsam mit viel Brot zwischen jedem Bissen, den weissen schob ich ihm über den Tisch. Er erzählte mir, dass er seinen Facharzt in Kardiologie mache und gern mal unsere Herzen jetzt hüpfen sehen würde. Damals konnte man vom schlagenden Herz noch keine Aufnahme machen. Heute gibt es in der Abteilung des Ehemannes einen Raum ohne Fenster, in dem in der Mitte eine Liege und auf den Tischen an den Wänden mehrere Monitore stehen, an denen sitzen Assistenzärzte, die so unauffällig aussehen wie Studenten oder Kassiererinnen beim Discounter. Sie lächeln kurz auf, wenn jemand den Raum betritt, und wenden sich dann wieder dem Monitor zu. Das einzige Licht im Raum strahlt von den Monitoren, erhellt die Gesichter der davor Sitzenden. Als mir der Ehemann diesen Raum gezeigt hatte, war die Magnetresonanztomografie neu und seine Abteilung die erste in Deutschland, die ein solches Gerät erwerben konnte. Er zeigte auf einen der Monitore. Eine graue ovalförmige Masse war darauf zu sehen, die es in gleichmässigen Rhythmen durchzuckte. Ich dachte an Brechreiz, der vom Magen aufsteigt, wieder nachlässt erneut aufsteigt, sich aber nicht entladen kann. Quälend. Ein schlagendes Herz, in Echtzeit, sagte der Mann. Echtzeit. Das Wort holt mich in das amerikanische Café am

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