Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verfolgerin - Roman

Die Verfolgerin - Roman

Titel: Die Verfolgerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: edition 8
Vom Netzwerk:
fühlt sich das an wie ein Fest. Durch einen Lautsprecher wird zum Gebet in die Christopherus Kapelle aufgerufen. Fünf vor zwölf beginnt es. Keiner erhebt sich. Keiner lässt erkennen, ob er den Aufruf wahrgenommen hat. Die englisch sprechende Frau wischt den beiden Mädchen an der Kleidung herum. Sie sollen vom Getränk nichts verschütten. Ihr Mann ist in das, was auf dem Display des Laptops erscheint, vertieft. Es sind Tabellen und Diagramme. Sein Haar glänzt blauschwarz. Vielleicht stammt die Familie aus Indien. Gelegentlich schaut sich die Frau um. Ich stehe auf, spaziere durch die Flughafenebenen, um jemanden zu finden, der für mich infrage kommt. Oben in der grossen Halle, die sich zwischen Terminal eins und zwei befindet, spricht ein Mann laut vor sich hin. Er sagt, dass die Halle riesengross sei. Er fragt mich, wo es zur S-Bahn gehe. Ehe ich antworten kann, sagt er: Ah, da drüben geht es hoch. Ich sage, dass die Rolltreppe hinunter zur S-Bahn führt. Er hört mir nicht mehr zu. In der Halle zwitschern die Vögel wie im Frühling. Minus fünf Grad sind es und trüb ist es. Ich schaue nach oben und kann die zwitschernden Vögel nicht sehen. Vermutlich schwirren sie im Stahlgerüst herum. Ich kann niemanden finden, der für mein Unternehmen in Frage kommt, auch nicht im First- Class-Lounge-Bereich der Lufthansa. Ein Fernsehteam verfolgt mich. So kommt es mir vor. Sie schlendern hinter mir her. Vom zentralen Flughafenbereich durch die Halle zu Terminal eins, dann zu Terminal zwei. Vor der Business-Lounge bauen sie ihre Geräte auf. Sie haben einen geeigneten Standort gesucht mit dem geeigneten Licht, dem geeigneten Hintergrund. Für was oder wen? Ich kann es nicht erkennen.

32
    Till beachtet mich nicht. Er tut dies auf eine Weise, dass jeder im Studio spürt, dass dieses Nicht-Beachten mir gilt und bedeutungsvoll ist. Jeder im Studio, das sind ausser mir noch zwei Geisteswissenschaftler, zwei Kameraleute, ein Techniker und eine Redakteurin. Die Redakteurin erklärt uns, was wir tun sollen: Vor die beleuchtete Wand stellen und uns vorstellen. Stellen und vorstellen. Sie erklärt, was sie damit meint: Den Namen sagen, was studiert, wie lange, und womit man heute sein Geld verdient. Beatrix, eine kleine dunkelhaarige Frau mit Brille, fragt die Redakteurin, ob das denn nicht geschnitten werde. Wir senden nicht life. Sie können ganz entspannt sein, sagt sie. Die Redakteurin ist eine Frau um die dreissig. Alles an ihr ist grau, ihre Haut, ihre Augen, ihr Pullover, ihre Jeans. Selbst das Aschblond ihrer Haare wirkt grau. Sie besitzt die Fähigkeit sich unsichtbar zu machen. Wie eine Verfolgerin, überlege ich. Till sagt, dass wir mit Herbert anfangen. So heisst der Mann, der in der Reportage als Geisteswissenschaftler auftritt. Herbert ist gross. Ein Meter neunzig. Vielleicht etwas grösser. Er fragt, ob er sein Alter sagen soll. Till sagt: Sag, was du willst. Er steht klein und dick vor Herbert. Ich denke an Handgranaten oder Springkraut. Wenn man ihn berührt, explodiert er. Herbert sagt, wie er heisst und wie alt er ist. Till ruft: Stopp. Und: Die Hände. Sie hängen an der Seite. Herbert steht an der Wand wie ein Häftling, von dem Aufnahmen für die Akte gemacht werden. Herbert soll seine Finger in den Hosentaschen einhacken. Ja, so ist es gut, sagt die Redakteurin. Till ruft: Ist das so? Herbert beginnt wieder mit seinem Namen, Alter. Er habe Politikwissenschaft studiert und Organisationspsychologie und sei jetzt Verlagsleiter in einem Verlag, der IT-Magazine produziere. Ein österreichischer Verlag mit Sitz in München. Er sehe rot für das aktuelle Geschäftsjahr wegen der roten Zahlen. Hauptkunden seien die Banken. Till dreht seine Daumen im Rhythmus wie Herbert spricht. Herbert kann es nicht sehen wegen der Scheinwerfer, die auf ihn gerichtet sind. Herbert tritt von der Wand weg. Beatrix tritt an seine Stelle. Die Kamera bleibt an. Beatrix sagt nicht ihr Alter. Sie habe Romanistik studiert, fünf Jahre in Paris gelebt, habe einen Sohn, der auf eine private Schule gehe. Diese habe sie mitgegründet, das Konzept dafür erarbeitet. Jetzt sei sie in einer Kommission, die von der Stadt München ins Leben gerufen wurde. Es gehe um alternative Schulkonzepte. Sie sagt, dass die Kinder in den herkömmlichen Schulen kaputt gemacht und ihre Potenziale nicht genutzt würden. Dass in einem anderen Bildungssystem die Kinder sich besser entfalten könnten und die Gesellschaft einen grösseren Nutzen hätte. Till malt

Weitere Kostenlose Bücher