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Die Verfuehrerin

Titel: Die Verfuehrerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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nicht dort an. Aber die Speisen, die auf dem Herd standen, dufteten herrlich. Chris hatte ein Gefühl, als habe sie seit Jahren keine ordentliche Mahlzeit mehr gegessen.
    Der Garten hinter dem Haus war wunderschön, voller Aza-leen, wilder Gebirgsblumen und Knollenpflanzen. Er war offensichtlich die große Liebe eines der Hausbewohner, und Chris tippte auf Owen Hamilton. Sie entdeckte eine große, geschwungene Steinbank unter einer Douglastanne, nahm darauf Platz, lehnte sich gegen den Stamm zurück und schloß die Augen. Noch nie hatte sie ein so großes Heimweh gehabt wie in diesem Moment. Ihre Mutter hatte früher so einen Garten gehabt, aber nach ihrem Tod hatte ihn ihr Vater verwildern lassen. Sooft sie nach Hause zu Besuch kam, hätte sie fast geheult, wenn sie den von Unkräutern überwucherten Garten sah. »Du solltest eben zu Hause bleiben und dich darum kümmern«, pflegte ihr Vater dann jedesmal zu sagen.
    »Du darfst hier nicht sitzen. Das ist meine Bank.«
    Chris öffnete die Augen und sah einen Jungen vor sich stehen. Er hatte eine entfernte Ähnlichkeit mit Owen; aber während Owens Gesicht vor Liebenswürdigkeit strahlte, zeigte dieser Knabe Unmutsfalten.
    »Du mußt Lionel sein«, sagte sie lächelnd. »Ich bin...«
    »Ich weiß, wer du bist. Du bist eine arme Verwandte, die hier von meinem Geld leben möchte. Und jetzt steh auf und verdrück dich.«
    Chris blieb sitzen und sah ihn nur an.
    Lionel verfärbte sich dunkelrot. »Ich habe dir doch gesagt, daß du aufstehen sollst! Das ist meine Bank; das ist mein Garten! Muß ich erst meinen Onkel rufen, damit du meinem Befehl gehorchst?«
    »Nun, ich denke, das wirst du wohl tun müssen«, sagte Chris und fragte sich, wie Owen sich wohl verhalten würde, wenn man ihn von seinen Schreibarbeiten wegrief, damit er einem Gast des Hauses sagen sollte, er habe seinen Sitzplatz für einen ungezogenen kleinen Jungen zu räumen.
    Lionels Gesicht nahm allmählich wieder eine normale Färbung an, aber Chris merkte, daß sein Zorn jeden Moment wieder ausbrechen konnte. »Du hast mir zu gehorchen.«
    »So? Und warum?«
    »Weil mir hier alles gehört und du von meiner Mildtätigkeit lebst.«
    Chris lächelte ihn vielsagend an. »Du scheinst mir aber in diesem Moment diese Bank nicht zu besitzen. Manieren allerdings auch nicht. Sollen wir noch einmal von vorn anfangen? Ich bin deine Kusine Diana Eskridge.«
    Lionel wich einen Schritt zurück, bückte sich blitzschnell, nahm eine Handvoll Erde aus einem Blumenbeet und schleuderte sie gegen ihr frischgebügeltes Kleid. Ehe Chris einen Ton sagen konnte, rannte er davon.
    Chris stand von der Bank auf, besah sich ihr Kleid und ging dann zum Haus zurück.
    Unity, die gerade eine Backform mit Maisbrot aus dem Ofen nahm, sah hoch. »Wie ich sehe, haben Sie Lionel eben kennengelernt. Setzen Sie sich hierher, Honey, und ich mache Ihnen das Kleid gleich wieder sauber. Dieser Junge wird uns noch alle ins Grab bringen.«
    »Ich weiß, es geht mich nichts an - aber hat jemand diesen Jungen schon mal übers Knie gelegt?« Sie nahm Unity das feuchte Tuch ab, das diese ihr zureichte.
    »Ich habe ihn schon so oft dermaßen verprügelt, daß mir fast die Hände abgefallen sind. In meinem Alter weiß man, daß Kinder so verschieden sein können wie Tag und Nacht. Manche kann man mit einem Blick zum Gehorsam bringen, die meisten mit einer Birkenrute - und dann gibt es noch Lionel. Bei dem schlägt nichts an. Glauben Sie mir- sein Onkel hat alles bei ihm versucht.«
    »Und wie wäre es mit Güte?« fragte Chris, die sich den Lehm vom Kleid putzte. »Schließlich ist er ein Waisenkind.«
    »Sie sind ja erst eine halbe Stunde hier. Aber Sie werden schon noch merken, daß Mr. Owen die Güte in Person ist. Ihm bricht fast das Herz, wenn er den Jungen mit einem Rohrstock vertrimmen muß. Jahrelang weigerte er sich, ihn zu züchtigen. Er sagte immer, es wäre sein Wunsch, daß sich der Junge hier so wohl fühlen soll, wie es bei seinen leiblichen Eltern der Fall wäre. Aber ich habe Lionel ja schon als Säugling gekannt.«
    Chris wußte nicht, ob Diana über Lionels Vergangenheit unterrichtet war; doch sie mußte die Frage riskieren: »Sie sind schon mit Lionel zusammengewesen, ehe er zu seinem Onkel kam?«
    »Oh, ich vergesse immer wieder, daß Sie gar nichts über uns wissen.«
    »Wenn Sie mir die Schüssel mit den Erbsen herüberreichen, werde ich sie für Sie enthülsen«, sagte Chris.
    »Also - das soll mir aber nicht einreißen. Sie

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