Die Verführung der Arabella Fermor: Roman (German Edition)
Alexander! Danke, dass du mir das hier zeigst!«, rief Martha.
»Ich hab mir gar nicht vorstellen können, dass es so etwas geben könnte«, antwortete Alexander hingerissen, »am wenigsten in der Stadt. Die Luft schimmert, als ob Millionen unsichtbarer Geister um uns wären, die mit ihren Flügeln durch das Licht schwirren.«
»Das klingt, als ob du Verse dichtest, Alexander.«
»Meine Fantasie saugt gierig jegliches Bild auf, das der Morgen bietet, übersättigt beinahe, und doch erpicht auf mehr. Bei jeder Entdeckung komponiere ich flüchtige Zeilen, so wie ein Maler sich müht, vorüberhuschende Eindrücke zu skizzieren, selbst wenn ihn schon die nächsten überschwemmen. Jeder Anblick ist im Nu vorüber, und ich habe ja nur mein inneres Auge, mit dem ich eine dürftige Kopie des herrlichen Originals speichern kann.«
Wieder waren sie still, bis es aus Alexander herausbrach: »Längst habe ich ein Gedicht über das irdische Paradies schreiben wollen, und diese Szenerie hier ist eine, die selbst Miltons unvergleichliche Fantasie nicht heraufbeschwören könnte. Und jetzt plötzlich habe ich die Idee, wer diesen Ort bewohnen könnte. Wie in Miltons Gedicht werden es sterbliche Kreaturen sein, aber ebenso auch göttliche Wesen. Engel sind zu großartig für meine Verse. Bei mir werden es geringere Geister sein – Nymphen, die in der Luft leben. Zart und zauberisch wie dieser Morgen selbst. Du wirst sehen«, sagte er kühn, »selbst Milton wird mich nicht übertreffen.«
Martha betrachtete ihn schweigend. Wäre Teresa hier, das wusste Martha, so hätte sie ihn ausgelacht für seine Ernsthaftigkeit – und es war ja auch wirklich etwas Lachhaftes an Alexander mit diesen hellen, blitzenden Augen und den überschwänglichen Bewegungen. Aber als er sich brüstete, dass selbst Milton ihn nicht überträfe, da sah sie, dass er es vollkommen ernst meinte. Die Welt war voller Männer, deren Ehrgeiz es war, ein Gedicht, so großartig wie Paradise Lost zu schreiben, aber vielleicht, ganz vielleicht würde ja Alexander es wirklich tun. Es war ein unglaublicher Gedanke, und sie schauderte, als habe sie einen Blick auf etwas Unheimliches erhascht.
Alexander unterbrach ihre Gedanken, beugte sich vor und sprudelte hervor: »Was denkst du darüber, Patty? Eine Beschreibung der unsichtbaren Geister der Themse: Insektenflügel ruh’n in leisem Flug auf kühlem Wind, auf goldnem Wolkenzug, durchsichtige Formen, aufgelöst in Licht, zerflatternd vor dem menschlichen Gesicht. Das Luftgewand zerfließt in Winden lau, ein flimmerndes Geweb’ aus Duft und Tau, in reichste Färbung des Gewölks getaucht, das Licht mit tausend Strahlen überhaucht, wo jeder Strahl verschiedene Farbe trägt, Farbe, die wechselt, wenn ein Flug sich regt …«
Während er sprach, war es Martha, als sei die Luft von magischen Tönen erfüllt, der magischen Musik der Poesie, die nicht ganz von dieser Welt ist. Sie blickte Alexander mit einer Art heiliger Scheu an. Sie wusste – voll stiller innerer Distanz, die nichts damit zu tun hatte, dass sie ihn persönlich kannte -, diesem jungen Mann, der ihr da gegenübersaß, war beschieden, ein wahrhaft großer Dichter zu werden. Er war mehr als nur talentiert: Er war – und selbst, als sie es dachte, erschauerte sie -, er war ein Genie. Sie blickte in seine leuchtenden, geistesabwesenden Augen und sah, dass auch er es wusste, und genau das verlieh ihm die unirdische Qualität, die sie jetzt gewahrte.
Sie rang nach Worten, ihre Gedanken auszudrücken. »Alexander, mir ist … Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll«, begann sie hilflos. »Mir ist, als hättest du mir ein Geschenk gemacht, das ich nur zu gerne auch anderen zeigen möchte, und doch ist es ein kostbares Juwel, das nur ich immer sehen werde. Dein Genie wird dich berühmt machen. Nichts kann dich mehr daran hindern.« Und noch etwas musste sie ihm sagen: »Aber ich weiß, wir beiden werden einander immer teuer sein.«
Alexanders Beschreibung der Elfen hatte ihr die Zunge gelöst, und sie redete so ungehemmt, wie sie es nie für möglich gehalten hätte. Ihr Herz floss über, und sie hatte ihre geheimsten Gedanken preisgegeben. Doch sie fürchtete, diese Verzauberung würde nicht lange andauern.
»Einander teuer!«, rief Alexander. »Patty, ich habe begriffen, dass deine Freundschaft mir die teuerste meines Lebens ist. Ich könnte ohne dich nicht leben. Und das weißt du ja ganz sicher auch, du mit deinem unglaublichen
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