Die Verführung der Mrs. Jones
Ohr.
„Oh ja, eine wundervolle Idee“, antwortete Reto und küsste Sandra. Und das war nur der Anfang.
Als Sandra vom Klingeln ihres Handys geweckt wurde, war sie zunächst irritiert von der unbekannten Umgebung. Dann erinnerte sie sich. Automatisch griff sie neben sich – Reto war nicht im Bett. Und er war auch nicht im Bad, wie sie kurz darauf feststellte. Irgendwie war sie ihm sogar dankbar für seine Abwesenheit. Sie mochte keine Abschiedsszenen. Langsam zog sie sich an, betrachtete sich im Spiegel. Sie sah so weiblich aus wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Als sie sicher war, alles bei sich zu haben, verließ sie die Mansarde und suchte nach einem Aufzug oder Treppenhaus. Sie war Reto am Vorabend nur hinterhergelaufen und hatte sich den Weg nicht gemerkt.
„Signora.“
Das war Sascha. Er kam ihr auf dem langen Flur entgegen und deutete auf eine Tür.
„Haben Sie gut geschlafen? Sie sehen wunderbar aus. Ihr Wagen ist bereits da. Warten Sie, ich bringe Sie ins Foyer.“
Wortlos folgte sie dem jungen Mann. Sie war ihm dankbar dafür, dass er sich mit keiner Regung anmerken ließ, was tags zuvor zwischen ihnen geschehen war. Wie hatte Reto gesagt? Das Haus ist diskret. Sandra musste ihm recht geben. Der Ausgang, durch den sie den Club verließ, führte auf eine andere Straße als auf die, von der sie gekommen waren. Giuseppe grüßte mit kurzem Kopfnicken, dann öffnete er die Tür im Fond. Sandra spürte jeden Knochen. Sie würde das Treffen mit Thomas so kurz gestalten wie nur möglich und dann sofort zu Bett gehen. Thomas … Ihr fiel ein, dass sie schon länger keine SMS mehr von Katharina bekommen hatte. Prüfend ging sie die Eingangsliste auf ihrem Handy durch. Nichts. Umso besser, dachte Sandra, dann habe ich wenigstens meine Ruhe. Ganz entgegen ihrer Gewohnheit blickte sie über die Schulter zurück und sah Como hinter einer Kurve verschwinden.
Auf Wiedersehen, Reto.
Als sie vor dem Portal des Il Giardino ankam, standen die meisten Teilnehmer der Reisegruppe schon aufgeregt plappernd vor dem Bus, der sie zum Flughafen bringen sollte. Die Reiseleiterin warf Sandra einen strafenden Blick zu, als sie ihr in der Lobby begegnete. Sandra sah zur Seite und reagierte nicht auf diese Provokation. Sie fuhr in den vierten Stock und packte im Eiltempo ihre Sachen. Nur fünf Minuten später stand auch sie vor dem Bus und erfuhr, dass die Kollegen am Abend zuvor einen Ausflug ins Spielkasino unternommen hatten. Das Kasino … Sandra dachte an die erste Begegnung mit Reto zurück, seine Art, mit dem Croupier zu sprechen, überhaupt seine Art. Reto. Verdammt, Reto. Ich will es nicht, und ich bin es doch. Verliebt. Sandra seufzte und stieg in den Bus. Sie setzte ihre Sonnenbrille auf und schloss die Augen. Nur weg von hier, schnell, und nichts mehr sehen, was sich im Erinnerungskasten festsetzen könnte.
„Bitte warten Sie noch einen Moment.“
Sandra hörte, wie jemand an die Tür des Busses klopfte. Der Fahrer, der gerade den Motor gestartet hatte, öffnete die Tür. Der Mann sprang hinein, und für einen winzigen Moment hatte Sandra die Hoffnung, es könnte Reto sein. Doch es war nur der Concierge, der einer Teilnehmerin ihre Handtasche brachte.
8
Sandra wuchtete genervt ihren Koffer vom Band. Ein starkes Gewitter in Zürich hatte für erhebliche Verspätung bei den Anschlussflügen gesorgt. Nun war es schon nach sieben. Sie schob den Gepäckwagen Richtung Parkhaus und kramte nach ihrem Handy. Die Mailbox war voll mit Glückwünschen, auch ein paar SMS hatte sie bekommen. Die Einzige aus ihrem engeren Kreis, die sich nicht gemeldet hatte, war Katharina. Ob ihr Liebeskummer so schlimm war, dass sie darüber sogar den Geburtstag einer Freundin vergaß? Nein, das war nicht ihre Art. Sie war eine starke Persönlichkeit. Eine verpatzte Reise mit einem Kollegen würde sie nicht aus der Bahn werfen. Trotzdem. Sandra war ein wenig nachdenklich, als sie sich auf den Heimweg machte.
Thomas wartete bereits vor der Haustür auf sie. Er trug ein Sakko, das seinem Auftreten einen offiziellen Anstrich gab. Neben sich auf den Treppenstufen lag ein fröhlich bunter Blumenstrauß. Als er aufstand, bemerkte Sandra, dass sein linker Fuß geschient war.
„Das ist ja eine Überraschung.“
Thomas reichte ihr die Blumen und machte eine artige Verbeugung.
„Erst mal alles Liebe zum Geburtstag.“ Er nahm sie kurz in die Arme, ging dann aber sofort wieder auf Abstand.
„Was verschafft mir die Ehre?“
Thomas
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