Die Verfuehrung Des Ritters
nicht. Noch nicht.«
»Nein, noch nicht.« Hier oben im Norden hatten Männer wie Marcus etwas mehr Zeit, um abzuwarten, aus welcher Richtung der Wind wehte, ehe sie ihr Mäntelchen nach diesem Wind hängten.
Er zuckte mit den Schultern. »Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis das Land vollständig in Henris Hand ist.«
»Aber doch nur, wenn Männer wie Ihr es ihm gebt.«
Er warf ihr einen prüfenden Blick zu, bevor er sich mit seinem Messer ein Stück Käse abschnitt. »Eure Lehnstreue ist wie stets unerschütterlich. Aber ich muss Euch leider sagen, dass sie Euch nichts mehr bringt, Gwyn.«
»Es bringt sehr wohl etwas«, stieß sie hervor. »Ich habe nämlich jeden Morgen, wenn ich aufstehe, ein reines Gewissen.«
»Glaubt Ihr, das habe ich nicht? Oder sollte ich kein reines Gewissen haben?« Er steckte den Käse in den Mund.
Sie blitzte ihn wütend an. »Treue ist keine Ware, die Ihr verkaufen und erwerben könnt, wie es Euch gefällt.«
»Natürlich ist sie das.« Seine dunklen Augen, die tief in den Höhlen lagen, musterten sie kühl. »Wenn die Treue zu einem Herrscher keinen Preis hat, würde man mir meine Loyalität kaum entlohnen. Dann wäre ich tatsächlich ein Narr.«
»Und wir können keine Narren gebrauchen.«
In seinen Augen blitzte Wut auf. »Ihr seid ein Kind, Gwyn. Jene Männer, die diese Art von Loyalität verdienen, die Ihr beschreibt, sind doch die einzigen Nutznießer.
Und die ach so über alles geschätzten Anhänger werden benutzt und dann weggeworfen. Und die Erinnerung an ihr Opfer verweht ebenso rasch wie der Gestank ihrer Leichen. Soll ich mich denn bei denen einreihen? Ihr überrascht mich, Gwyn. Ich hätte Euch für klüger gehalten.«
»Und ich Euch für anständiger. In gewisser Weise zumindest.«
»Ach Gwyn.« Er lachte. »Das habt Ihr doch wohl nicht ernsthaft geglaubt, oder?«
Marcus lehnte sich im Sessel zurück. »Aber wir hätten schon ein schönes Paar abgegeben, Ihr und ich.«
»Wie denn das?«, fragte sie säuerlich. »Bei Eurem Mangel an Lehnstreue und meinem Übermaß davon?«
»Nein. Mit Eurem Temperament und meinem Ehrgeiz.«
»Ach so, das.« Sie atmete tief durch. Jetzt oder nie. »Ihr müsst nach Everoot kommen und den Lehnseid für die Ländereien Everoots leisten, die Ihr haltet, Marcus.«
Er schaute sie an, als habe sie den Verstand verloren. »Hat Sauvage Euch hergeschickt, um mir das zu sagen?«
»Natürlich nicht. Ihr könnt Euch glücklich schätzen, dass Griffyn nicht hergekommen ist, um Endly Hall bis auf die Grundmauern niederzubrennen.«
»Griffyn?«, wiederholte er ungläubig, als könnte er nicht glauben, dass sie ihn bei seinem Taufnamen und nicht bei einem weniger intimen Namen nannte, etwa dem seiner Familie.
Sie wischte ein nicht vorhandenes Staubkorn von ihrem Rock. »Er mag Euch nicht.«
»Er schuldet mir etwas«, zischte Marcus.
Sie lehnte sich vorsichtig zurück. »Was schuldet er Euch?«
»Denkt mal zurück.«
Gwyn erforschte ihre Erinnerungen. »Euer Vater und seiner haben eine gemeinsame Vergangenheit.«
Marcus blickte beiseite. »Mein Vater mochte Sauvage.«
»Den Vater? Christian Sauvage?«
Marcus lachte verbittert auf. »Nein, ihn mochte er kein bisschen. Zumindest nicht, als es zu Ende ging. Aber er mochte Euren Griffyn.«
Darüber musste Gwyn erst einen Augenblick nachdenken. »Mochte er ihn mehr als Euch?«
Wie eine Schlange schnellte Marcus' Hand vor. Sie verharrte nur um Haaresbreite neben Gwyns Wange. Sie starrte ihn mit offenem Mund an. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht.
Marcus ließ die Hand sinken. Er wirkte verwirrt, als wäre seine Hand ein fremdes Objekt, das sich seiner Kontrolle entzog. »Es tut mir leid, Gwyn. Was mich mit Eurem Verlobten« - er spie das Wort aus - »verbindet, hat Euch nicht zu sorgen.«
»Das mag sein.« Ihre Stimme zitterte. Es schien, als habe sie bei Marcus eine alte Wunde berührt. Und eine alte, aber dennoch kaum verheilte Wunde war vermutlich genauso gefährlich wie ein ausgetrocknetes Flussbett nach einem Sturzregen. Leute, die versuchten, den Fluss zu durchqueren, liefen Gefahr, davongespült zu werden.
Aber sie hatte keine andere Wahl.
»Ihr müsst kommen und Eure Lehnstreue schwören«, fuhr sie fort und versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. "Alle anderen Barone kommen auch.
Der Termin ist in zwei
Wochen, am Tag unserer Hochzeit. In der darauf folgenden Nacht werden die Barone ihrem neuen Lehnsherrn die Treue schwören. Ihr müsst
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