Die Verfuehrung Des Ritters
»Wer weiß noch davon?«
In seinem Blick lag eine solche Wut, dass die Knie unter ihr nachgaben. Sie lehnte sich an die kalte Steinmauer, um nicht zu fallen.
»Nur ich. Und Jerv...«
»Sei verflucht!«, stieß er heiser hervor. »Sei gottverdammt verflucht!«
»Jerv weiß nichts! Jedenfalls nicht von Eustace. Er hat etwas vermutet, und ...« Sie schluckte. »Er hat mir geraten, es dir zu sagen, was es auch ist. Er hat es mir geraten.«
Seine Hand schloss sich um ihre Kehle, sein Gesicht war nur wenige Zoll von ihrem entfernt. »Er hat dir geraten, es mir zu sagen?«
Sie nickte heftig.
»Und du hast es nicht getan?«
Sie schüttelte den Kopf, dass ihre Haare flogen. »Ich habe es geschworen«, flüsterte sie elend.
Ein Ausdruck der Verachtung verzerrte sein Gesicht. »Ach ja? Und was ist dein Wort wert?«
Er ließ sie stehen und lief die Wendeltreppe hinauf, nahm zwei Stufen auf einmal und verschwand in der Dunkelheit. Gwyn stolperte hinter ihm her. Ihr war sterbenselend zumute, und sie weinte haltlos.
Griffyn trat die Tür zur Schlafkammer auf, durchquerte den Raum mit weit ausgreifenden Schritten und zerrte den Gobelin von der Wand, hinter dem sich die Tür verbarg.
Er riss sie auf und lief die Stufen hinunter. Während er in der Dunkelheit verschwand, rief er erneut nach seinem Freund. »Alexander!«
Kurz darauf stürmte Alexander in das Zimmer. Seine blonden Haare waren zerzaust, seine Augen weit aufgerissen. Im Laufen befestigte er mit einer Hand seine Bruche, in der anderen Hand hielt er den Schwertgurt. Gwyn zeigte stumm auf die offene Tür zum Gewölbe.
Er warf ihr einen verwirrten, besorgten Blick zu und verschwand ebenfalls in der Dunkelheit. Gwyn folgte den beiden, stolperte bei jedem Schritt. Ihre Haut fühlte sich zugleich kalt und heiß an.
Als sie den Fuß der Treppe erreichte, sah sie, dass Griffyn und Alex vor der Tür standen, die mit dem großen Vorhängeschloss gesichert war. Das Drachenkopf-Schloss versperrte ihnen wie ein grimmiger Wächter den Weg. Es glänzte matt im Schein der Fackel.
»Du weißt von der Tür.« Ihre Stimme klang tonlos.
»Ich habe keinen Schlüssel.«
Wortlos ging Gwyn an ihm vorbei. Sie zog den goldenen Schlüssel aus der aufgenähten Tasche und schob ihn in das Maul des Drachen. Ein leises Klicken, dann öffnete sich das Maul wie zu einem stummen Brüllen. Gwyn trat einen Schritt zurück, um Griffyn den Vortritt zu lassen.
Er stieß gegen die Tür, die weit aufschwang. Alex stand hinter ihm, und ihre Silhouetten ragten im Licht der einzigen brennenden Fackel in der Kammer dunkel vor ihr auf.
Duncan sprang auf und verstellte ihnen den Weg. Er hatte sein kleines Schwert gezogen. Keiner der beiden Ritter würdigte ihn eines Blickes. Sie starrten an ihm vorbei in die Zelle.
»Geh zur Seite, Duncan!«, befahl sie leise.
Griffyn und Alex verschwanden in der Kammer. Sie hörte, wie Alex leise etwas sagte.
»Du weißt, was passiert, wenn Henri fitzEmpress das hier herausfindet?«
Gwyn setzte sich auf die unterste Treppenstufe. Die Kälte des Steins drang durch ihre Kleider. Wie benommen starrte sie ins Leere.
Als Griffyn nach kurzer Zeit in der Tür auftauchte, verdeckte seine hünenhafte Gestalt alles Licht, das aus der Kammer drang. In seinen Augen lag glühende Wut.
»Er ist tot.«
Duncan trat jetzt vor und blieb neben Griffyn stehen. »Er ist noch nicht lange tot, Mylady. Er ist ganz still gestorben. Obwohl ich ihn warmgehalten habe, wie Ihr es mir befohlen habt.«
Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Ich weiß, dass du das getan hast, Duncan.« Sie schlang die Arme um sich und wiegte sich langsam vor und zurück.
Nichts zählte jetzt noch. Sie musste nur das tun, was jetzt getan werden musste.
Musste es einfach aushalten, dass ein bedeutungsloser Moment nach dem nächsten verstrich.
Griffyn starrte sie noch immer an. »Was hast du uns nur angetan, Gwyn?«, fragte er leise.
Seine Worte brachten sie wieder zum Weinen. Die Tränen strömten über ihr Gesicht.
»Was hätte ich denn tun sollen, Griffyn? Was hättest du denn von mir erwartet? Du, dem jeder Schwur und jeder Eid so heilig ist, dass du ihn erfüllen würdest, solange noch ein Atemzug in dir ist? Was hättest du an meiner Stelle getan? Wenn dein König, den du liebst, zu dir gekommen wäre und dir aufgetragen hätte, den für ihn wichtigsten Menschen zu verstecken? Wenn du vielen Menschen großen Schaden zugefügt hättest und man dir die Gelegenheit geboten hätte, alles
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